...und was sagt die Kunst dazu?

Jens Herrmann
 

Als Käthe Kollwitz das Plakat „Nie wieder Krieg“ verbreitete, standen nicht die formalen Mittel im Vordergrund. Die Grafik erklärte ein gesellschaftliches Problem für bildwürdig und verstand sich als Sendung an die breite Öffentlichkeit. Heute schätzt ein Großteil der Kollwitz-Verehrer die grafischen Fertigkeiten der Künstlerin mehr als ihr gesellschaftliches Engagement
Joseph Beuys sprach sich für eine situativ agierende Arbeitsweise der Künstler und für das Einbeziehen öffentlicher Kulturinstitutionen in den gesellschaftlichen Diskurs aus. Bis heute haben weder Künstler noch Institutionen dieses Arbeitsverständnis produktiv verinnerlicht. Als Beuyssche Leistung wird die formal-ästhetische Erweiterung des Kunstbegriffes gefeiert und selbstgefällig für den Kunstmarkt nachgekaut.
Die Chefdramaturgin des Dresdner Schauspielhauses Andrea Koschwitz spricht in Bezug auf ihre Theatertätigkeit davon, nicht nur im Theater leben zu wollen, sich in Bücher zu verkriechen und Autoren hinterher zu rennen oder nur aus ihrem eigenem Ego zu schöpfen. So sollte die Kunst nicht immer den Ereignissen und brisanten Geschehnissen hinterher hängen, um im Nachhinein die Vorfälle zu illustrieren.
Einer Formulierung der klassischen Moderne nach, vermag die Kunst Unsichtbare sichtbar zu machen. Heute stellt sich die Frage, was Künstler gegenwärtig für wert und notwendig halten, ins Licht der Sichtbarkeit zu holen, weil es an sich nicht sichtbar wäre. Sehen Künstler im Hinblick auf die vorzufindende Kunstproduktion tatsächlich mehr als andere?
Kunst kann die Konflikte, die aus den Widersprüchen der Zeit entstehen, nicht nur abbilden, sondern darüber hinaus poetisch zuspitzen. Dann macht sie Zeitfragen offensichtlicher, wahrnehmbarer und spricht sich für die Probleme jener aus, die kaum eigene Gelegenheiten dazu haben.
Wie ist es zu verstehen, wenn Künstler in ihrer Freizeit euphorisiert über sozialpolitische Probleme sprechen, diese aber in ihrer Arbeit nicht mehr zum Ausdruck bringen? Kunstskeptiker nennen das Salonkommunismus.
Ein zeitgemäßer Gegenstand von Kunst ist der Interessengegensatz, den Künstler in ihrer Umwelt erblicken, das heißt in den gesellschaftlichen Zusammenhängen, die Konflikte immer wieder schüren. Wer nur als Solitär aus dem eigenem Ego, der eigenen Befindlichkeit schöpft und für sein privates Fortkommen arbeitet, indem er nur die oder das betrachtet was ihm dazu dienlich scheint, bleibt asozial. Er wird zum Außenseiter am Rand der Ereignisse ohne eine Position von Relevanz in die Gesellschaft einbringen zu können. In der Kunstarbeit geht es um eine soziale und politische Sensibilität für gesellschaftliche Ereignisse, was in Verbindung mit kulturellen Institutionen den gemeinsamen Nenner für eine fortschrittliche Kulturarbeit darstellt. Erst die Verknüpfung der Potentiale von Künstlern und Institutionen als Kräftebündelung im Sinne eines gemeinsamen Anliegens, kann ein teilbares Arbeitsverständnis wirksam werden lassen. Damit werden die verfügbaren Gelder, in die wir alle einen Teil einzahlen, in eine praktische künstlerische Bearbeitung der uns letztlich alle betreffenden gesellschaftsrelevanten Problemfelder investiert. Es geht somit nicht um eine einseitige Förderpolitik, als viel mehr um die gemeinsame Investition in eine kritische und produktive Gestaltungsmöglichkeit der Gesellschaft.
Heute hat sich die Kunst im Laufe der Zeit die vielfältigsten Ausdrucksformen erarbeitet und müsste alle Kunstklischees in den Schatten stellen. Doch selbst die Erwartungen an Kunst bleiben im Klischee stecken. Dabei können wir noch froh sein, wenn uns jemand angesichts des tagespolitischen Geschehens auf suggestive Weise fragt: „...und, was sagt die Kunst dazu...?“