Simultane Perspektiven auf dem Ernemannturm

Dr. Klaus Mauersberger, Dresdner Universitätsjournal 13/2002

Wenn man Glück hat, sieht man sie in der Sonne strahlen, die »Dresdner Leiste« auf der Brüstung des Turmovals hoch oben auf dem »Ernemann-Bau« an der Schandauer Straße. Was soll dieser dreiunddreißig Meter lange Bronzering, gestaltet nach der ersten »normierten« Rahmenform der Gemäldegalerie, der seit dem 1. Juni auf dem Oberdeck der Technischen Sammlungen der Stadt Dresden prangt?
Es gibt freilich keine normierten Antworten auf diese Frage. Ein Rahmen, der den Blick auf die Welt dahinter führt, über die Dächer der Stadt auf die fernen Berghänge zu oder hinüber zum Elbtal. Ein Panorama aus der Feldherren-Perspektive. Bestechender Perspektivwechsel: wir treten in das Rahmeninnenfeld, aber das Bild öffnet sich nach außen.
Und welches Bild !? Ein höchst subjektives: ein jeder mag da sein eigenes Bild ausmachen, in seinen Vorstellungen schaffen, mit seiner eigenen Geschichte und seinem Blick auf diese Stadt verweben. Die Projektion der Außenwelt kann die Gesamtheit umfassen, kann aber auch ins Detail gehen. Und in den Turmräumen sind die »gefrorenen« Augen-Blicke in etwa 500 Momentaufnahmen als Panoramabild sichtbar gemacht.
Wie kam es zu diesem Kunstprojekt? Der Reiz lag gewiss nicht in der Absicht, mit dem größten Bilderrahmen Dresdens in das Guinness-Buch der Rekorde zu kommen. Ausgangspunkt war das 3. Metallguss- Symposium, welches das Interesse der beteiligten Künstler aus Dresden, Weimar und Berlin auf die Faszination des Blicks vom Ernemann-Turm lenkte. Gemeinsam mit dem Kulturamt und den Technischen Sammlungen wurde das Projekt »Simultane Perspektiven - Dresden sehen - ein Bild der Stadt« aus der Taufe gehoben. Der Aufruf nach Beteiligung an einer flankierenden Fotodokumentation fand größere Resonanz als erwartet. Indessen wurden in der Rabenauer Bildguss-Werkstatt der Gebrüder Ihle die Teile des Barockrahmens gegossen und auf der Plattform montiert. Seit dem 1. Juni nun kann sich der Betrachter den unterschiedlichen Perspektiven vor Ort hingeben. Das Anliegen geht aber über das simultane Sehen hinaus. Auf den Rahmen können Verweise auf besondere Orte oder Begebenheiten in kleine Plaketten eingraviert werden. Der hierfür vorgesehene Spendenbetrag kommt der Förderung der Technischen Sammlungen sowie einer geplanten Publikation zugute. Dieses originelle Kultur-Sponsoring rückt den Sinn des Unternehmens auf die Erhaltung des Hauses und seiner »Perspektiven«.
Wenn der Blick hinüber in die Südvorstadt schweift, ist da auch das Campusgelände der TU Dresden mit seinen Marken zu erkennen.
Ein geistiges Band zieht sich so zum Turm des Beyer-Baus, dem Wahrzeichen der Dresdner Alma Mater, die ja in vielfältiger Weise historisch mit dem Ernemannschen Kleinod der Industriearchitektur verbunden ist: Der Grundstock der dort untergebrachten Sammlungen geht auf die damalige TH Dresden zurück und Wissenschaftler unserer technischen Bildungsanstalt kooperierten in den Glanzzeiten der indessen verblichenen Dresdner Fotoindustrie sehr eng mit dem damaligen Ernemann- Werk, mit Zeiss Ikon und schließlich mit dem Volkseigenen Betrieb Pentacon. Vielleicht findet sich ja im Umfeld der heutigen Technischen Universität jemand, der mit einer Plakette auf der Leiste diesen Zusammenhang eingravieren lässt und damit gleichsam beiträgt, wenigstens die musealen Zeugnisse aus der Geschichte von Technik und Industrie in dieser Stadt der Nachwelt zu erhalten.