Ein Brief an den Dresdner
Kulturbürgermeister Dr. Lutz Vogel, geschrieben anlässlich einer
Ausstellung im „Kunstfoyer“ des Kulturamts. Der Brief wird
auf ein Maß von 3m vergrößert in den Räumlichkeiten
präsentiert.
Jens Herrmann, Andreas Paeslack, Wolfram Höhne, Ines Knackstedt
Sehr geehrter Herr Dr. Vogel,
herzlichen Dank für die Möglichkeit, eine Ausstellung in Ihrem
Hause realisieren zu dürfen. Das Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit
betrifft sowohl den Gegenstand Ihrer Arbeit als auch den unserer eigenen
künstlerischen Produktion. (Dazu einige Anmerkungen im Anhang.) Es
erscheint uns deshalb nur allzu sinnfällig, im Rahmen unserer Präsentation
im Kulturamt der Stadt Dresden einen Gegenstand alltagspolitischer Natur
zu unserem Thema zu machen.
Eines unserer letzten Projekte, anlässlich dessen wir ein Thesenplakat
zum Verhältnis zwischen Kunst und Öffentlichkeit verfasst haben,
brachte uns unverhofft in Verlegenheit. Weder wir noch der Sächsische
Künstlerbund verfügten über das notwendige Kapital, die
produzierte Auflage im Stadtbild zu plakatieren, und damit eine öffentliche
Diskussion auszulösen. Der Artikel 5 des Grundgesetzes, nach dem
„jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei
zu äußern und zu verbreiten“, vegetiert dieser Erfahrung
nach allenfalls als leere Worthülse im Werbedschungel des öffentlichen
Raumes. Die gesellschaftsökonomische Logik greift dem, der sich aufgrund
seiner gesetzlich garantierten Grundrechte am demokratischen Meinungsstreit
beteiligen möchte, tief in den Geldbeutel und kriminalisiert die
einfachste Form der Äußerung ohne Anwesenheit der Person: den
öffentlichen Anschlag. Auch wenn wir jetzt ein wenig orakeln: wem
bereits der Anschlag eines Zettels an der Straßenecke verwehrt bleibt,
der neigt womöglich zu gegebener Zeit auch zu anderen Formen des
Anschlags auf ein restriktives Umfeld.
Ob Straßenlaterne oder Müllcontainer, Postbriefkasten oder
Häuserwand, Dachrinne oder Verkehrsschild: der ansehnliche Wildwuchs
an Zetteln ist ein eindeutiges Zeichen für das Bedürfnis nach
öffentlicher Äußerung. Mit der Vielzahl politischer Statements
findet ein Missstand an praktizierbarer Demokratie seinen Ausgleich. So
zeugen die Ankündigungen nichtkommerzieller Veranstaltungen von einem
Kulturleben, das ohne jegliche finanzielle Unterstützung auskommen
muss. Individuelle Mitteilungen, wie die Suche nach der entlaufenen Katze
oder dem Rentner, dem die Waschmaschine nach oben getragen werden soll,
entstehen aus einem Verlust an Kommunikation in der Anonymität des
Stadtlebens. Aus den Höhen intellektueller Betrachtung gesehen, mag
es sich dabei um ein interessantes soziologisches Phänomen handeln,
praktisch aber haben die Plakatierenden mit der drohenden Gefahr ihrer
Kriminalisierung zu kämpfen. Denn bekanntlich wird auch das Eigentum
durch das Grundgesetz geschützt.
Wir möchten Sie nun als Kulturbürgermeister der Stadt Dresden
für die Einrichtung und Betreuung öffentlicher Plakatierungsgelegenheiten
gewinnen, die es jedem erlauben, kostenfrei, unzensiert und ohne der Gefahr
einer Kriminalisierung publizieren zu dürfen. Gemeinsam mit Ihrer
Institution wollen wir geeignete Flächen im städtischen Bestand
finden und die Aufstellung von Litfaßsäulen und ortsspezifisch
gestalteten Aushangobjekten realisieren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit
werden daraus Orte des Zusammentreffens und des öffentlichen Meinungsstreits
entstehen, die von einer Lebendigkeit getragen werden, die vielleicht
auch Sie in weiten Teilen unserer elitären und zu Tode professionalisierten
Kulturlandschaft vermissen. Dresden wäre die erste Stadt, die dem
demokratischen Grundrecht auf freie Meinungsäußerung eine praktische
Anwendung und eine sinnliche Präsenz im Stadtraum geben würde.
Mit freundlichen Grüßen, Kooperative Kunstpraxis
Anlage: Das Vermögen der Kunst
Kunstwerke gelten als Symbole individuellen und freiheitlichen Handelns.
Sie sind Zeugnisse einer der Wahrheit verpflichteten, künstlerischen
Produktion. Ihre Wertschätzung, wozu auch Hass, Unverständnis
und Ablehnung gehören, findet darin ihre Begründung. Sobald
man jedoch hinter die Fassade üppigen Formenwachstums blickt, muss
man feststellen, dass 99 Prozent der Kunstproduktion sich eben nicht souveränem
Handeln verdanken, sondern nach objektiven Verhältnissen ausgerichtet
ist, wie die Kompassnadel zum Nordpol. Mit einem Wort: Repräsentationskunst.
Ein Widerspruch, der seine Ursache in der unentrinnbaren Anpassung der
Künstler an die gesellschaftsökonomische Logik findet. Die individuelle
Entfremdung und Angleichung, die damit einhergeht, erzeugt ein Bild der
Unfreiheit.
Auf Kunstwerke, die ihre Entstehung sekundären Repräsentationsabsichten
verdanken und deren Produktionsbedingungen außer Acht geblieben
sind, ist der Begriff der Freien Kunst nicht anwendbar! Sie werden irrtümlich
als Kunstwerke bezeichnet.
Die Züge des Kunstklischees beginnen im Kleinen mit den Auswüchsen
luxuriöser Warenpräsentation, wie Hängesystemen, Aluminiumrahmen
und exklusiven, weiß getünchten Räumlichkeiten, die ein
permanentes Bild der Negation, der Abwesenheit von Realität, schaffen.
Im großen Stil ist es der freiheitliche Charakter der Kunst, der
heraufdämmert, sobald mal einer frivol mit der Freiheit kokettiert,
und daraufhin Künstler wie Aussteller, ja selbst den Staat, der dieses
unterstützt, im Lichte des bürgerlichen Grundwertes erstrahlen
lässt.
Dort, wo die Stürme der Welt nicht hineinschlagen, in den Ateliers,
Galerien und kunstinteressierten Intellektuellenkreisen, wird die freiheitliche
Gesellschaft behauptet, die in der Realität längst auf der Strecke
geblieben ist. Während die ungebremste Ökonomie den Verlierern
die Hälse zuschnürt, schmückt die Künstlerschaft in
exklusiven Kreisen die Wände der Wohlstandsbürger und der Institutionen.
Sie vertreibt den Nachgeschmack eines Systems der Ungleichheit und Ausbeutung
mit eingeübtem Strich, der Stilgeschichte dienend, in einer Badewanne
des erhabenen Gefühls.
Der Ausverkauf gesellschaftlicher Werte in der Kunst müsste nicht
weiter beunruhigen, wenn diese nicht zu einem beträchtlichen Anteil
öffentlich finanziert wäre. Den profitorientierten Künstler
interessiert nur die persönliche Vorteilnahme. Von der Kulturindustrie
zum Genie erhoben, verfälscht er absichtsvoll die Produktionsbedingungen
und kopiert die Vorbilder unter falschen Vorzeichen dem Zeitgeist entsprechend
bis zum Erbrechen. Kunst von der Rolle wie Ölschinken und Hochglanzabzüge
werden marktgerecht am Fließband für den Spekulanten produziert
und verdanken sich ausschließlich einer konformistisch verengten
Wahrnehmung. Sie tragen das Prädikat historistische Repräsentationskunst
zu Recht. Solch opportunistisch agierendem Herrschaftspersonal kann es
nur recht sein, wenn ihm zusätzlich auch noch öffentliche Gelder
in den braunen Salon geschoben werden. Erst wird ihnen die Produktion
bezahlt und dann können sie diese auch noch Gewinn bringend veräußern.
Dem Steuerzahler, der die Kunst somit mehrfach finanzieren darf, wird
das ein ewiges Rätsel bleiben. Erst finanziert er den Erhalt der
Institutionen, dann die Produktionsmittel der Künstler, und zu guter
Letzt verlangt man noch Eintrittsgelder an der Museumskasse von ihm. Ganz
abgesehen davon, dass er sich persönlich von seinem Einkommen solch
ein dekoratives Stück Herrschaftsarchitektur niemals leisten kann.
Nicht besser ist es um die Situation im öffentlichen Raum bestellt.
Aufgeblasene Privatikonografien ins Freie getragen und zusammenhangslos
abgestellt, werden von der Bevölkerung mit Vandalismus quittiert.
Kein Wunder, denn auch im öffentlichen Raum kann von Mitbestimmung
keine Rede sein. Stadtmöblierung, so weit die Blicke reichen. Mit
den Labels der Konzerne oder der institutionell verwalteten Welt im Rücken
erscheinen alle öffentlichen Kunstwerke als Formen von Werbung. So
wie der Kunstbegriff sich ständig erweitert hat, so uferlos ist die
Produktion geworden, die darin logieren will. Nicht neue Qualitäten,
sondern vor allem Quantitäten haben sich versammelt und belasten
die Entfaltung des politischen Begriffs Kunst im öffentlichen Raum.
Und das alles im Namen der Kunst, des kreativen Potenzials, das durch
naive Künstlernaturen als konformistisches, institutionell verwaltetes
Objekt in die Geschichte eingehen muss, und von dem eigentlich erwartet
wird, dass es unsere Gesellschaft positiv und damit zukunftsorientiert
verändert. Nicht unerwähnt darf an dieser Stelle bleiben, dass
die Ausbildungslager für diesen systematischen Kunstbegriff, die
halbintellektuellen Brutstätten für diese Katastrophe, sich
ehrenvoll Akademien nennen dürfen. Das akademische Verweilen in einer
handlich systematisierten Kunst verhindert deren zeitgenössische
Fortschreibung und beschert uns heute die Anwendung der Kunstgeschichte
als katechistische Gebetsmühle. Hinzu kommt ein mental vergreistes
Lehrpersonal, das jede unvoreingenommene Auseinandersetzung mit der Realität
verhindert und nur noch durch seine Pensionierung aufzuhalten ist.
Trauriger Weise erstrahlt damit das Vermögen der Kunst im Licht dieses
ideologischen Kunstbegriffs nur noch in Form von Eigenwerbung. Somit bleibt,
wen wundert es, das breite Interesse der Bevölkerung an aktueller
Kunst auf der Strecke. Künstlerische Selbstverliebtheit und Realitätsferne
wird zu Recht mit Unverständnis quittiert. Aber auch hier helfen
Klischees. Das ferngebliebene Publikum wird einfach deklassiert, indem
man ihm kurzer Hand das Bildungsniveau abspricht. Doch damit nicht genug:
Künstlern, die eine kritische Auseinandersetzung anstatt der alles
dominierenden Anpassung fordern, wird kurzsichtig finanzieller Neid unterstellt.
Nicht mehr Progressivität, sondern Verkaufszahlen und Höchstpreise
von selbst ernannten Sammlerkuratoren, die ihr Eigentum in der Regel fraglichen
Ursprungs und nicht eigener Arbeitsleistung verdanken, bestimmen heute
die Qualitätskriterien für Kunst. „Kunst ist das, was
gekauft wird“, und „in ist, wer in der Sammlung drin ist“
.
Gerade die öffentlichen Institutionen müssten dieser Entwertung
der Kunst ihrem gesellschaftlichen Auftrag nach entgegentreten. Doch ein
nennenswerter Unterschied zwischen privat und öffentlich finanzierter
Kunst ist schwer auszumachen. Die öffentliche Hand hat sich in die
Logik des Marktes eingeordnet. Sie agiert unselbständig und sucht
nicht mehr nach der gesellschaftlichen Sinnstiftung, zu der sie verpflichtet
ist. Die Institutionen teilen die Kriterien des Marktes und sonnen sich
in Repräsentationsinteressen, denn auch sie sind heute fest in der
gesellschaftlichen Ökonomie verankert. Durch ihre Sammlungspolitik
avancieren sie zu den eigentlichen Produzenten von Kunst und verführen
den naiven Teil der Künstlerschaft sowie deren kunstwissenschaftliche
Textdekorateure zu ihren Erfüllungsgehilfen. Somit versprechen die
Kunstwerke den Erhalt der Institutionen, und die Institutionen versprechen
neue Kunstwerke.
Die öffentliche Finanzierung der bildenden Kunst ist umstritten.
Wenn Kunstproduktion tatsächlich eine individuelle Sache sein soll,
dann muss sie die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie entsteht,
im Blick haben, sie zum Gegenstand ihrer Arbeit machen und auf der Ebene
der Kunstwerke zur Anschauung bringen. Künstlerische Produktion ist
kein Loch in der Natur und die Produktionsbedingungen sind keine Phantasie,
sondern die nackte Wirklichkeit. Alle Kunstwerke werden vor dem Horizont
gesellschaftlicher Verhältnisse produziert und gelesen. Künstlerische
Individualität sollte sich freiheitlich in eine Beziehung zur gesellschaftlichen
Realität setzen. Das bedeutet für die Zukunft keine historistischen
Produkte, keine Produktion nach Rezept und keine Repräsentationskunst!
Nicht die Förderung der Kunst als Verwaltungsakt, sondern erst die
gemeinsame Arbeit zwischen Künstlern und den Institutionen an öffentlichen
Problemfeldern kann die Kunst in die soziale Gesellschaft integrieren.
Es geht nicht um einseitige Förderpolitik als viel mehr um gemeinsame
Investition in eine kritische und produktive Gestaltungsmöglichkeit
der Gesellschaft. |