Panorama - Wie der Versuch, die Welt in Bildern festzunageln den Gedanken gleich mit befestigt hat

Wolfram Höhne, Beitrag für die Publikation "Simultane Perspektiven"
 
Das Gemälde "London from the Roof of Albion Mills" des irischen Malers Robert Barker aus dem Jahr 1787 gilt als der Ursprung des Panoramas. Nicht zufällig findet die Entwicklung dieser neuen Darstellungsform in zeitlicher Parallelität mit dem Beginn der bürgerlichen Revolution statt. Die Erfindung des Panoramas begründete sich in einem Bedürfnis nach Mobilität, das dem neuen Zeitalter der technologischen Errungenschaften entsprach. Mit der Entwicklung neuer Verkehrsmittel und der Ausweitung der Handelswege vervielfachte sich das Wissen um jene Teile der Welt, die außerhalb des persönlichen Erfahrungsbereiches des einzelnen Individuums lagen. Es entstand jener Hunger nach Bildern, der noch heute durch die Maschinerie der massenmedialen Bildproduktion gestillt wird. Die Panoramen waren der erste Schritt in Richtung einer massenmedialen Kultur. Sie sollten jenen Teil der Welt erfahrbar machen, der sich den Betrachtern durch seine räumliche oder zeitliche Distanz entzog. Im Gegensatz zur Bühnenmalerei wiesen die panoramatischen Darstellungen einen hohen Reichtum an Details auf. Der Grund dafür lag in dem Bedürfnis nach Sichtbarkeit des damaligen Publikums, das üblicherweise Ferngläser bei seinen Besuchen in den Panoramarotunden mit sich führte. So avancierten die Panoramen neben ihrer Funktion als Erlebnisraum zu Informationsspeichern von hoher Kapazität. Während das Panorama die Menge seiner visuellen Mitteilungen in gleichzeitiger räumlicher Präsenz vor dem Betrachter entstehen ließ, reihte das Kino seine Bilderflut in zeitlicher Abfolge auf. Unter quantitativen Gesichtspunkten hat sich das Aufkommen an Bildern bis zum heutigen Zeitpunkt beständig gesteigert. Im allgemeinen Sprachgebrauch fällt heute die Bedeutung des Wortes Bild zusammen mit der Materialform gemalter, fotografierter oder digital erzeugter Bilder. Der Anschauungsprozess, wie er sich beispielsweise in der Formulierung "sich ein Bild von etwas machen" ausdrückt, droht im heutigen Verständnis des Bildbegriffes zu verschwinden. Was uns umgibt ist eine Welt vorgefertigter Bilder, in die sich das künstlerische Bildschaffen beinahe nahtlos einreihen lässt. Die Malerei hatte mit dem Panorama seinen Höhepunkt im Sinne der Darstellung realer Umwelt erreicht. Nachdem dieser Meridian überschritten war, löste die Thematisierung der Form an sich den Anspruch der Repräsentation von Wirklichkeit ab, um diesen an die neuen Bildmedien wie Fotografie und Kinematografie abzutreten. Eine Begleiterscheinung des kulturellen Bades in der Bilderflut ist der Verlust körperlicher Erfahrungen, denn in den Bildern, selbst in den bewegten, erstarrt die Lebendigkeit. Die Nahaufnahme eines Hirsches ist nicht in der Lage den Waldspaziergang mit einem Feldstecher verlustfrei zu ersetzen. Dieser Verlust zeigt sich auch in den Beschreibungen des sogenannten "Dunkelkammerprinzips" (Ulrich Giersch "Im fensterlosen Raum- das Medium als Weltbildapparat" in "Sehsucht", Stroemfeld/ Roter Stern, Frankfurt a.M. 1993). Giersch stellt fest, das die Panoramabauten den fensterlosen Raum ebenso wie die Dunkelkammer benötigten und im Zusammenhang mit der aufkommenden Mode der Verwendung von Vorhangstoffen im 19. Jahrhundert zu sehen sind. Bilder nehmen in unserer Kultur den Charakter von Surrogaten der Wirklichkeit an, die geeignet sind, mit ihrer fremden Anschauung die eigene Bildung von Vorstellungen zu überschreiben. Es ist deshalb auch Aufgabe der Kunst, Instrumente zu schaffen, die es dem Betrachter erlauben mit eigenen Augen zu sehen. Eine Kunst, deren Hauptaufgabe im Transfer von Bildern auf die Festplatte des Betrachters besteht, beruft sich auf zweifelhafte Ideologien. Die Frage, wie sich Anschauung bildet, gehört zu den dringlichen Zukunftsproblemen. Künstler können zur Arbeit an dieser Problematik durch ihre Modelle der Lösung konkreter Fragestellungen beitragen. Den Bildbegriff der Kunst gilt es, über den bloßen Materialbegriff hinauszuführen. Denn die Funktion von Kunst endet nicht an der Retina des Auges, wie es oft von den Restaurantkritikern unter den Kunstkritikern behauptet wird.