Jens Herrmann, Zeitzeichen/Heft 2, Oktober 2003
„Eigentlich wollte ich den Russen nur zeigen, wozu ich fähig
bin“.
Bomber-Harris über sein Motiv den Luftangriff auf Dresden zu befehlen.
Mahndepots in Dresden – Aus der Biografie einer Stadt, dieser Arbeitstitel
umschreibt ein Vorhaben, dem sich K. du Vinage, M. Böttger und J.
Herrmann verschrieben haben.
Hierbei geht es um die Erarbeitung einer Publikation zur aufgezwungenen
Geschichtserfahrung der Stadt Dresden und das dadurch aufgerufene, zukunftsorientierte
Verantwortungsempfinden der mit dieser Geschichte belasteten Menschen.
Angesprochen ist eine der wohl schmerzlichsten Erfahrungen, die Menschen
machen können: die nahezu völlige und dazu mutwillige Zerstörung
ihrer Stadt und damit ihrer Existenz und Identität. Am 13. Februar
versank Dresden in einem zurückgekommenen Krieg.
Wie wichtig und in welcher Form kann solch eine Erfahrung für heutiges
Verhalten und Handeln innerhalb des Zeitgeschehens sein? Dies ist die
Frage, der sich die Publikation annehmen möchte.
Ausgangspunkt dafür ist ein Kunstprojekt, was sich ab 2001 mit einem
Aspekt dieser Thematik künstlerisch im Stadtraum aktiv auseinandersetzt.
(s. zeit ZEICHEN, Heft 1, 2003).
Dem durch die Initiative 13. Februar formulierten Interesse, ein Erinnerungsmahl
in Bezug auf die Kriegszerstörung für nachfolgende Generationen
zu schaffen, nahmen sich Künstler an, die die öffentlichen Interessenlagen
als ihr Arbeitsfeld verstanden.
Die Zusammenarbeit der Künstler mit M. Neutzner, der einen umfangreichen
Recherchebestand von einzelnen Schicksalsschilderungen zu zahlreichen
Orten, nicht
zuletzt über Zeitzeugen, erarbeitet und zur Verfügung hatte,
veranlasste die Künstlergruppe eine Form der Erinnerung zu wählen,
die durch Kommunikation jedes Jahr eine Fortsetzung finden kann. Es ging
darum, einen Vorgang zu installieren, der Bürgern dieser Stadt die
Möglichkeit gibt sich einzubringen. Das kann entweder über die
Mitteilung eigener Erfahrungen und Kenntnisse oder an Hand von Überliefertem
geschehen, womit das Erinnerungsmahl fortlaufend mitgestaltet und damit
lebendig gehalten wird.
Der Bereitschaft, Geschichten und Erfahrungen Betroffener aufzunehmen
und diesen zuzuhören, wohnt die Fähigkeit inne, sich auf etwas
zu besinnen und Besinnung ist wichtig wenn es um Krieg oder Frieden geht.
Erfahrungen, die viele der 100 000 Menschen nicht mehr selbst vermitteln
konnten, die 1940 die Aufmarschstraßen zum Jubelempfang des „Siegeszuges
der Dresdner Einheiten“ säumten, die vom siegreichem Feldzug
aus dem Westen zurückkamen. (Altmarkt, Ort 04). 5 Jahre später
wurden sie, diagonal gegenüber der Jubelstelle, als Bombenopfer zur
Verbrennung aufgebahrt. (Altmarkt 16, Ort 47).
Jedes Jahr am 13. Februar wird an einem bestimmten Ort, der den Initiatoren
vorgeschlagen wird, ein (Mahn-) Depot, eine Hülse aus Edelstahl,
in den Boden eingelassen, welches eine dem Ort eigene Geschichte aus dem
Kriegsgeschehen und eine Abbildung des Ortes aus heutiger Sicht enthält.
Die Installation des Mahndepots ist eine öffentliche Veranstaltung,
die, einem Ritus gleich, jährlich die Geschichte der Stadt durch
die dort kommunizierten Einzelgeschichten auf besondere Weise mitschreibt.
Aus dem Anliegen einer jährlichen Kontinuität resultiert die
bisherige Anzahl der in ganz Dresden netzartig eingelassenen Mahndepots.
Am 13. Februar 2001 wurde damit begonnen von bereits recherchierten Geschichten,
in Bezug auf den Jahresabstand zum Geschehen, 56 Orte zu markieren und
mit einem entsprechenden Depot zu versehen. Über Anregungen aus der
Bevölkerung, von Einrichtungen oder Institutionen wurden seitdem
am 13. Februar jeden Jahres neue Orte zum Treffpunkt Interessierter, die
mit der jeweiligen Depotsetzung der Bombennacht und ihrer Opfer gedachten.
Die letzte Veranstaltung dazu fiel in die Zeit, in der weltweit über
die Legitimation eines Kriegzuges debattiert wurde, der mehrere Nationen
involvieren sollte. Mit Legitimation war natürlich eine gerechtfertigte
und bewusste Inkaufnahme von Opfern gemeint, die, darin war man sich einig,
durchaus auch als unschuldig empfunden wurden. Ein Trickwort machte die
Runde. Um Dinge unnachvollziehbar zu halten, zitierte man den Kollateralschaden.
Das klingt auf jeden Fall professionell, ist sachlicher und dienlicher
als beispielsweise zu sagen: tote Kinder.
Nach dem zweiten Weltkrieg war es geradezu Brauch zu sagen: Hätte
ich gewusst, wie es wirklich war... . Ob das Bomberpiloten waren, die
ja ihre Ziele gar nicht sahen, oder welche, die den totalen Krieg befürworteten,
weil sie die Konsequenzen nicht lebhaft vor Augen hatten: Allen ist letztlich
die Distanzierung der zweckdienliche Gewissenstöter gewesen.
Die Führer, die Massen für einen Krieg motivierten und mobilisierten,
wurden nach dem 2. Weltkrieg mit dem Vorwurf entlarvt, die Menschen belogen
und betrogen zu haben. Darin sprach sich eine Verurteilung aus, eine Grunderfahrung,
sich nicht durch Lüge und Betrug benutzen zu lassen. Wo und wann
wurde diese Erfahrung in der Folgezeit bis heute als Prüfstein für
Handeln und Mithandeln aufgerufen und tatsächlich sinnvoll genutzt?
Ist doch Erfahrung nicht schlechthin vererbbar. Wer oder welche Instanz
ist in der Lage diese wirkungsvoll einzubringen?
Auf Dresden fielen 1945, laut Militärjargon, „dumme“
Fallbomben. Auf Bagdad fielen 2003, nach neuestem Stand der Technik, „intelligente“
GPS - Gleitbomben, die durch einen Rechner zum Abwurf freigegeben werden.
Eine US – Fliegerbesatzung erhielt auf Grund gelandeter Treffer,
mittels dieser Technik, das Fliegerverdienstkreuz - in Bronze.
Der Kommandant des Flugs sagt: „Es ist ein gutes Gefühl die
Bomben abzuwerfen. Weil du weißt: Mit jedem Treffer hilfst du jemandem,
irgendwo da unten“. (s. Spiegel, Nr. 35/2).
Nicht geholfen wurde ihnen, sondern tödlich getroffen wurden sie:
15 Zivilisten.
Da wusste wohl wieder einmal jemand nicht, wie es wirklich war.
Wie es wirklich war, was in schrecklicher Vielfältigkeit Geschichte
schreibt, können oft nur die einzelnen Geschichten in ihrer einsamen
Betroffenheit beschreiben und das nur, wenn diese nicht unter Verallgemeinerungen
eingeebnet werden. Das Mitbedenken und
Vor-Augen-Führen einzelner Schicksalsgeschichten, die sich, auch
in ihrer Ambivalenz, nicht einfach instrumentalisieren oder institutionalisieren
lassen, ist ein Anliegen der Aktion, die den 13. Februar 1945 zum Thema
hat; jedes Jahr Mahndepots in Dresden fortzusetzen und damit die existierenden
und zu überliefernden Geschichten in Erinnerung und ins Bewusstsein
zu bringen. Die Aktion ist der Ritus, das zu veranlassen und in Bewegung
zu halten. Da es grundlegend um die Übermittlung und Vermittlung
authentischer Geschichte(n), also um Übergeben, Überliefern
(lat. tradere) geht, liegt der Versuch nahe, dies in jährlicher Fortsetzung
zur Tradition werden zu lassen, was aber letztlich, über die Initiativen
der Autoren hinaus, durch entsprechende Anteilnahme und Interesse aus
der Öffentlichkeit definiert wird und aus ihr erwachsen sollte.
Die geplante Publikation hingegen soll die Unternehmung dokumentieren,
eine besondere Chronik mittels der vielen außergewöhnlichen
Geschichten darstellen und eine Auseinandersetzung über den Umgang
mit einem Fall von Erbschaft ermöglichen, die zu Mitverantwortung
aufruft.
Die Initiatoren suchen Interessenten, die eine Realisierung der Veröffentlichung
unterstützen können und sind selbst interessiert an Beiträgen,
die eine solche Publikation inhaltlich bereichern.
Es gibt in Dresden Kulturveranstaltungen, die sind überschrieben
mit: „Auf den Spuren Napoleons“. Wann wird es Veranstaltungen
geben, die gleichfalls unterhaltsam betitelt sind mit: „Auf den
Spuren Hitlers“??
Wie es Göring, um sich seinen Platz in der Geschichtsschreibung in
selbstsicherer Vorwegnahme zuzuschreiben, im Nürnberger Prozess zum
Ausdruck brachte: Alle „Großen“ der Geschichte seien
nicht immer gerade eben zimperlich gewesen... .
Bomber – Harris jedenfalls hat sein Heldendenkmal bekommen - in
Bronze.
Orden und Bomben fallen eben allzu oft auf die Falschen.
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