Braucht die Kollwitz einen Rucksack?

Wolfgang Zimmermann in Sächsische Zeitung, 21. Juni 2001
 
Eine Diskussion im Moritzburger Rüdenhof über den Kunstbegriff
 
Im vorigen Jahr machten ein paar Nicht-Moritzburger die Einheimischen darauf aufmerksam, dass sich ihr Kollwitz-Denkmal und dessen Umgebung in einem bejammernswerten Zustand befanden. Daraufhin ließ die Gemeinde den Platz instand setzen. Die Initiatoren wollten sich selbst irgendwie ins Kollwitz-Denkmal integrieren Das Resultat dieser Vorgänge ist ein zusätzlicher Stein, der die Inschrift auf dem Denkmal eine weitere hinzufügt. „Versteinerte Humanität“ steht dort geschrieben und darunter „dem institutionellen Kunst- und Kulturbegriff gewidmet“.
 

Massive Beschwerden über den neuen Stein
 
Diese Worte wurden erneut zum Stein des Anstoßes. Den Moritzburgern schienen sie suspekt, massive Beschwerden gingen in Rathaus und Kollwitz-Gedenkstätte ein. Begünstigt durch das Wissen, dass die Schöpfer dieses zweiten Steins Mitglieder der Künstlergruppe sind, die im Vorjahr das Aufsehen erregende Moritzburger Kunst-Projekt „Barockhaus! Gestaltete. Auch bei der diesjährigen Kunst-Aktion im Rahmen der Moritzburger „Inspiration“ sind sie führend beteiligt, stellen im Rüdenhof einen Fotofilm in drei Akten aus.
Die drei „Provokateure“ also - Jens Herrmann, Wolfram Höhne und Andreas Paeslack – waren bereit, den Kritikern öffentlich Rede und Antwort zu stehen. Für Vergangenen Freitag wurde in den Rüdenhof zu einer Diskussion eingeladen. Die Künstler waren alle da, ebenso die Chefin der Gedenkstätte. Der stellvertretende Bürgermeister Martin Steiner gab eine einstündige Gastrolle, und ansonsten waren ganze zwei „kritische Bürger“ erschienen. Ein Sturm im Wasserglas also? Nicht mehr und nicht weniger? Das Demokratieverständnis der Vergangenheit schien zurückgekehrt: kräftig meckern und dann den Kopf einziehen, wenn es Ernst wird.
Trotzdem diskutierte die kleine Runde über zweieinhalb Stunden zum Thema und weit darüber hinaus. Zwar ohne am Ende auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, dennoch sich einander annähernd. Laut Sabine Hänisch winken die Moritzburger ab und meinen: „das hat ja sowieso keinen Zweck!“ Laut Andreas Paeslack aber sei die Tatsache, dass sich, „ganz viele Personen mit dem Problem beschäftigt haben, als Erfolg zuwerten. Also ist nicht das Ergebnis entscheidend, sondern, die Beschäftigung mit dem „corpus delikti“.
Beide Künstler bekennen übereinstimmend: „Wir hätten kein Problem damit, wenn der Stein per Bürgerbescheid wieder runter müsste, nur dann macht man doch genau das, was man uns vorwirft!“ Und damit sind beide bei ihrem eigentlichen Thema, der „Versteinerten Humanität“ und dem institutionellen Kunst- und Kulturbegriff. Das ist im Grunde eine Absage aqn den traditionellen Kunstbegriff und ein Plädoyer für die Freiheit der Kunst und für das Bemühen, sie von ihrem elitären Dasein zu befreien. Kühne Gedanken machen die Runde; ein Zurück zur Förderung von inhaltlichen Aspekten in Kunst und Kultur wurde gefordert. Eine Absage an das Bild im Rahmen formulierte sich und auf deren Basis der Ruf nach einer neuen Freiheit der Kunst, nach mehr Freiräumen, nach einer viel weitläufigeren Fassung des Kunstbegriffs, als es derzeit praktiziert wird. Wen wundert es dann noch, dass das Flugblatt mit dem Aufruf, die Museen zu stürmen und den Geldstipendien der Künstler ein Abfuhr zu erteilen, mit in den Köpfen der beiden diskussionsfreudigen Künstler entstanden ist?
 

Die Kollwitz nie in Frage gestellt
 
Bei allen Widersprüchen in der Diskussion: das Werk der Kollwitz, die Bedeutung ihre Persönlichkeit wurden an diesen Abend niemals in Frage gestellt: Ganz im Gegenteil, auch andere Künstler vergangener Epochen spielten im Gespräch eine Rolle. Zum Beispiel Goya, der einst mit seiner Kunst gegen Verkrustungen der Gesellschaft kämpfte.