Wolfram Höhne, Jens Herrmann,
Prof. Dr. Achim Preiß (alias Joe Kromsdorf), Andreas Paeslack; Beitrag
zum Katalog "Inspiration Moritzburg- Kunst im 20. Jahrhundert"
Die Veranstaltung
"Inspiration Moritzburg" richtete ihren Blick auf das vergangene
Jahrhundert der Kunst in Moritzburg. Während die Besucher im Schloss
die Gelegenheit erhielten, das Werk der Künstler zu betrachten, stellte
die Käthe- Kollwitz- Gedenkstätte in ihrem Beitrag die Frage
nach dem künstlerischen Selbstverständnis- damals und heute.
Jens Herrmann, Wolfram Höhne, Joe Kromsdorf und Andreas Paeslack
haben versucht, den Blick zurück zu wenden und schrieben in einer
Nacht die fiktive Begegnung zwischen vier Künstlern nieder. Wenn
der Tod uns die Lebendigen nicht so unbarmherzig entreißen würde,
wäre es gar nicht so unwahrscheinlich, dass sich folgendes abgespielt
hat:
Eine blaue Bank steht in weiter Landschaft,
unweit von einem See. An einem schönen Sommernachmittag führen
vier Künstler des 20. Jahrhunderts ein Gespräch über die
Kunst und das Publikum.
Vorspiel
Herr K1, Vertreter der klassischen Moderne
Frau K2, Symbolfigur einer linken, sozial engagierten Kunst
Herr K3, Prominenter der Nazi-Kunst
Herr Kavier, Kunstprofessor, ist der Einzige, der noch lebt
Kavier betritt die Szene, er hält das Leporello des Kunstprojektes
Barockhaus in der Hand, liest darin, schaut sich die blaue Bank an, geht
inspizierend um die Bank, schaut unter die Bank, schüttelt den Kopf,
liest wieder, späht in die Ferne. Schließlich setzt er sich.
Sein Blick wechselt zwischen dem Leporello und einem Punkt in der Landschaft.
Während des gesamten Stückes tragen leicht bekleidete Damen
Kunstwerke des 20. Jahrhunderts hinter der Bank durch die Landschaft.
Auf ihren Badeanzügen liest man 1, 2, 3 und vier.
1.Akt
K1 und K2 kommen Arm in Arm in weißen
Gewändern mit angeklebten Flügelchen auf dem Rücken hinzu
K1. Dürfen
wir uns zu ihnen setzen?
Kavier. Bitte,
gern.
K1. (schwärmend
zu K2) Hier haben wir, vor beinah 100 Jahren
unsere prächtigsten Landschaftsbilder gemalt, mit schönen Menschen
darauf, ganz wie sie Gott geschaffen hat.
Kavier. Auch
ich male und das nicht nur gelegentlich.
K2. Wir kennen
ihre Arbeit.
K3. (kriecht
auf die Bühne, er ist zerlumpt, seine Kleidung ist versengt und qualmt
noch. Im Befehlston verschafft er sich Platz auf der Bank.) Ich
bin Künstler und auch mir steht ein Platz auf einer öffentlichen
Bank in Deutschland zu.
Kavier. Das
ist keine Bank, das soll Kunst sein - eine (zitiert
aus dem Leporello) Anmoderation des Landschaftbildes,
das damit zum Kunstwerk erklärt wird.
K3. Ich habe
gewußt, dass es so enden wird, wahrscheinlich noch großzügig
aus der Staatskasse bezahlt und für solides Handwerk ist nichts mehr
drin.
Kavier. Sie sprechen
mir aus der Seele.
K1. Ob Kunst
oder nicht, man sitzt bequem und der Blick in die Landschaft ist auch
angenehm.
K2. Eine richtige
Volksbank- wie man sieht.
Kavier. (sichtlich erregt)
Dem Volk kann man ja alles andrehen, wenn man
geschickt ist.
K1. Wir waren
damals ungeschickt. Eine radikal neue Kunst, die dem Volk näher sein
sollte als die akademische Malerei haben wir gefordert, aber uns hat niemand
verstanden. Wir suchten nach einem neuen Volk, doch das war nirgends zu
finden.
Kavier. Die Menschen,
das Volk, das weiß doch gar nicht, was es will. Wenn das Volk entscheiden
darf, was Kunst ist, dann können wir alle einpacken.
K2. So negativ
kann ich das nicht sehen. Wahre Kunst zeigt doch immer das Antlitz der
Menschlichkeit und will die Welt verbessern.
K3. Weltverbesserung?
Das wollten wir doch auch und nicht nur von der Maas bis an die Memel.
Aber bei ihnen sehen die Abgemeldeten ihr Schicksal auf den Bildern wieder
und sollen dann noch stolz sein auf ihr Elend. Dafür gibt doch niemand
Geld aus. Selbstbestrafung vor Publikum. (lacht)
Nein! Kunst geht nach Brot.
Kavier. (zu
sich selbst) Das meiste Brot verteilt heute
der Staat. (zu den anderen) Will
man nicht untergehen, so muss man sich mit den Kommissionen und Gremien
gut stellen.
K1. (erregt)
Was kommt denn dabei heraus, wenn Künstler nur lavieren und Kompromisse
suchen, Hinz und Kunz in den Arsch kriechen. Gute Kunst entsteht doch
aus der Wahrhaftigkeit der Gefühle, aus der Unmittelbarkeit der Empfindungen-
alles andere ist eitler Kitsch oder vertrockneter Gelehrtenfurz.
K2. Reg dich
ab, deine Gefühle waren auch nur dann klar und mächtig, wenn
dir das Morphium ausgegangen ist. Oder hast du es schon vergessen (verdreht
die Augen) das ganz naive, reine Müssen...
K3. (zu
K1) Vergiftet- so sehen ihre Bilder aus.
Aber natürlich sind sie in den Himmel gekommen und ich bin in der
Hölle gelandet, (weinerlich)
bloß weil ich dem Gröfaz die
Hand geschüttelt habe.
K2. Ich glaube
nicht, dass eine Kunst ohne Kompromisse und Abstriche überhaupt möglich
ist. Aber darin verlieren darf man sich nicht. Heutzutage gibt es zuviel
Selbstbewusstsein ohne Bewusstsein. Als Künstler braucht man ein
soziales Gewissen und politisches Bewusstsein.
K3. Das war doch
eine meiner Stärken! Ich sage nur der Übermensch...
K2. (angewidert)...ist
mindestens drei Meter groß.
Kavier. Ein Dachrinnensäufer
verheiratet mit neunzig, sechzig, neunzig. Das sind scheinbar die einzigen
Werte, die heute wirklich sicher sind. In der Vergangenheit gab es den
Adel, die Kirche oder den Staat. Heute hält sich der Staat unter
dem Vorwand der Demokratie aus allem heraus. Es gibt keinen Respekt mehr
und die Tradition gilt als Schimpfwort.
K1. Seien sie
doch froh! Als wir anfingen, herrschte auch Chaos und Unsicherheit. Wir
haben den Mief der Ateliers verlassen, alle Traditionen verworfen und
was Neues gemacht, etwas, das der Zeit entsprach, nicht der Geschichte.
Zuruf aus dem Publikum. Mief
ist das Parfum der Zukunft!
Kavier.
(beleidigt) Meine Ateliertür steht
offen, auch für Leute mit neuen Ideen. Da weht immer ein frischer
Wind!
K2. Sie Armer,
sie sitzen in ihrem warmen Atelier und die einzige Jahreszeit, die dort
vorherrscht, ist ihre Einsamkeit.
Kavier.
(voller Überzeugung) Es geht doch
darum, seine Eigenheit zu bewahren und das im Widerstand zur Realität.
Wie soll man sich denn unterscheiden, ohne sich selbst zu finden?
K2. Ich glaube,
sie bringen da was durcheinander. Für sie zählt doch nur ihr
malerischer Stil und genau damit bringen sie Gewalt über die Motive,
die Mittel und schließlich über das Publikum. Falls sie es
noch nicht wussten, die Selbstverliebtheit sabotiert den künstlerischen
Auftrag.
K1. (zu
Kavier) Sie als Professor müssten
doch wissen, dass die Akademie ein Elfenbeinturm ist, in dem alles gleichgemacht
wird. Das wirkliche Leben spielt sich woanders ab.
K2. (auch
zu Kavier mit belustigtem Erstaunen) Richtig
mein Lieber, überlegen sie doch mal, warum interessiert sich das
Volk nicht für die Kunst? (bedeutungsvoll)
Weil sich die Kunst nie für das Volk
interessiert hat.
Kavier. (zynisch)
Ja, ja, dem künstlerischen Widerstand,
dem Protest und damit der Erneuerung setzt die Kunstgeschichte ein Denkmal,
während die zu Lebzeiten Erfolgreichen meist im Depot und in der
Hölle verschwinden. Wo ist denn da die ausgleichende Gerechtigkeit?
K1. Ruhig Blut.
(hämisch) Sie
sind doch kein so Schlechter. Die Kunstwissenschaft biegt das auch bei
ihnen hin.
K3. (gleichgültig)
Ich habe mich mit meinem Publikum immer
gut verstanden und eine saubere Arbeit abgeliefert. Alles andere konnte
mir egal sein. (blickt auf) Gut,
ich habe mit einem verbrecherischen Staat zusammengearbeitet. Aber rechtfertigt
das denn, dass meine Bilder aus Gründen der politischen und ideologischen
Hygiene heute der Öffentlichkeit entzogen werden?
Kavier. Ein Schutz
der Kunst ist unabdingbar, aber natürlich verlangt das vom Künstler
diplomatisches Geschick. Wer zuviel Gegenwind erzeugt, kommt unter die
Räder. Wie in der Natur liegt die Überlebenschance in der Anpassungsfähigkeit.
K1. (trocken)
Und damit haben sie Erfolg?
Kavier. (achselzuckend)
Bedauerlicher Weise nicht, jedenfalls keinen
großen. Während ich hier als ehemaliger Regimegegner anerkannt
und beschützt bin, kann man mich woanders ungestraft als ehemaligen
Opportunisten hinstellen, beziehungsweise hinhängen.
K3. (erstaunt)
Die ehemaligen Mitläufer und Helden
sind also auch im Depot verschwunden und vom Markt?
Kavier. Ja -
nein, eigentlich nicht. Wer sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnt,
für den hat Handwerk auch heute noch goldenen Boden. Das war schon
immer so.
K2. Sie tun mir
aber leid, vielleicht sollten sie probieren, beides zu sein und ihre Kunst
als eine Art Selbstwiderlegung zu betreiben.
Kavier. Ja, machen sie sich ruhig lustig, sie Engelchen. Sie haben es
ja hinter sich. Es wird ihnen aber nicht entgangen sein, dass auch mit
der ehrlichen, politisch einwandfreien Kunst, für die sie einstehen,
nachträglich Schindluder getrieben wurde - ständige Umdeutungen
und Aufblähungen zum Nutzen der jeweiligen Machtverhältnisse.
(tut so, als würde er einen
Fahrradschlauch aufpumpen)
K2. Das weiß
ich, aber auch darin liegt etwas Gutes, denn es verhindert, selbstgefällig
zurückzublicken.
K1. (zu
Kavier) Man kann auch in den Himmel kommen,
ohne Märtyrer gewesen zu sein. Vertrauen sie auf die Richtigkeit
und Menschlichkeit ihrer Ideen und stürzen sie sich damit in den
Strudel der Veränderungen. Dort, wo der Strom am reißendsten
ist, werden sie heute die Besten finden.
K1 und K2 ab
2.Akt
K3. Wenn sie
erlauben, bleibe ich noch eine Weile. Wo ich herkomme, zieht es mich nicht
hin.
K3 und Kavier betrachten schweigend die
Landschaft, als ein elegant gekleideter Herr leicht hinkend auf die Bühne
kommt und höflich bittet, sich kurz ausruhen zu dürfen. Er setzt
sich neben Kavier.
Herr. Entschuldigen
sie, ich war gerade in der Nähe und habe zufällig ihr Gespräch
mitbekommen. Ich hoffe, ich erscheine nicht zu aufdringlich, wenn ich
den Faden nochmals aufgreife. Mein Beruf ist Kunstmakler. Ich kenne also
die Unberechenbarkeit des heutigen Kunstbetriebs und möchte nicht
ohne Stolz darauf hinweisen, dass einige der berühmtesten Künstler
ihren Erfolg mir zu verdanken haben.
Kavier. Klingt
interessant, aber verzeihen sie, was hat das mit mir zu tun? (erstaunt)
Wollen sie mir ihre Dienste antragen?
Herr. Genau!
Kavier. Wie kommen
sie denn auf mich, sie kennen mich und meine Arbeit doch gar nicht.
Herr. Sehen sie,
das ist ein Irrtum. Ich habe sie schon seit längerem im Auge und
konnte mich davon überzeugen, dass ihre Arbeit unterbewertet ist.
Kavier. Sie schmeicheln
mir, aber das ganze hinkt doch.
Herr. Machen
sie sich keine Sorgen. Ich garantiere ihnen eine Reihe internationaler
Einzelausstellungen und den Verkauf ihrer Werke auf Höchstpreisniveau.
Sie müssen nichts anderes tun, als das, was sie bisher getan haben.
Kavier. Nehmen
wir für den Moment an, dass ich ihnen glaube, dann bleibt mir immer
noch unklar, welche finanziellen Verpflichtungen ich damit eingehe.
Herr. Jetzt kommt
das Beste - keine oder so gut wie keine. Nicht nur der Ruhm, auch das
Geld bleibt ganz bei ihnen. Damit sie diesbezüglich wirklich sicher
sind, genügt mir ein Handschlag, um unsere Zusammenarbeit zu besiegeln.
Wir brauchen nichts Schriftliches, denn sie werden ja kein Motiv finden,
unseren Vertrag zu brechen.
K3. (zu
Kavier) Ich würde einschlagen oder
kriegen sie solche Angebote öfter?
Kavier. Nein,
noch nie und das gibt es auch so nicht, davon hätte ich bestimmt
schon gehört. Sie sagten, ich würde so gut wie keine Verpflichtung
eingehen. Also irgend etwas wollen sie doch haben.
Herr. Ihre Seele.
Kavier. (erstarrt)
Was?
K3. Nun geben
sie sich einen Ruck, und leben sie fortan in Saus und Braus! Werden sie
berühmt und vernichten sie ihre Feinde!
Kavier. Stürzt davon
K3. (aufbrausend)
Du hast es versaut, das hast du mit Absicht
gemacht. Dein Spiel und du setzt es in den Dreck.
Herr. Pass auf,
kleiner Mann, weil ich meinen humanistischen Tag habe, erkläre ich
dir, weshalb ich diese Seele fliehen ließ. Was soll ich denn mit
einem Diener? Diese rückratlosen, opportunistischen Kleinkrämer
sind doch die Masse und die straft mein alter Ego, Christus, schon selbst.
Glaubst du, mir ginge es um das Volk? Hast du je ein ganzes Volk in meiner
Hölle getroffen? Bei mir bleiben nur die Mächtigen, die sich
bewusst entschieden haben. Seitdem dieser unerträgliche Goethe seinen
Faust in die Welt gesetzt hat, schwärmt ihr Künstler für
das Volk, das ihr bilden, unterhalten und begeistern wollt. Dabei versteht
gerade ihr am wenigsten vom Volk, weil ihr talentiert seid und daher eben
nicht durchschnittlich. Hast du mich je für die Sünde in öffentlichen
Ansprachen predigen hören? Nein, mein Erfolg basiert nur auf der
Verführung. Das lieben die Menschen. Dabei geht es um jede einzelne
Seele, nicht um das Volk. Gut, viele moderne Seelen sind mir knapp entronnen.
Sie hatten nicht die Macht, sich nicht einmal darum bemüht, weil
sie unrealistisch genug waren, an das Gute im Menschen zu glauben. Du
aber warst aus anderem Holz. Du hast das Volk richtig eingeschätzt
und daher nicht geliebt. Du hast dich entschieden, den Zarathustra zu
spielen, obwohl deine Talente und Fähigkeiten das nicht hergaben.
Dann kamen andere Übermenschendarsteller, die dich förderten
und protegierten, damit du ihnen hilfst, in die Geschichte einzugehen.
So hat einer den anderen verführt und nur wer die Gabe der Verführung
hat, kann sich auf mich verlassen.
Mich interessieren nur die Abgeklärten, die Raffinierten und Superschlauen,
nur die produzieren die bizzaren Sündengespinste, die ich so liebe.
ein Flügel fällt vom Himmel herab
und streckt K3 nieder
Kavier kommt außer Atem zurück
Kavier. Gut,
dass ich sie noch antreffe. Ich habe über ihr Angebot nachgedacht
und möchte ihnen einen Gegenvorschlag machen. Meine Seele, die bekommen
sie nicht, aber ein Porträt von ihnen, das können sie bekommen.
Das kann ich vergleichsweise gut.
Herr. Ihre Bereitwilligkeit
in Ehren, lassen sie mich etwas anderes vorschlagen. Wer interessiert
sich denn schon für mein wahres Antlitz. Dafür finden sie ja
doch keinen Käufer. Ich habe eine höhere Aufgabe für sie.
(rückt näher an Kavier)
In meinem Souterrain
(zeigt nach unten) ist noch die Decke zu
bemalen. (zeigt nach oben)
Ich dachte da so an die Darstellung der Menschheitsgeschichte,
frei nach dem Motto: „Die Kreatur als Spielball der Elemente zwischen
Himmel und Hölle.“ (zeigt
zwischen oben und unten)
Kavier. Und in
welcher Form stellen sie sich das vor?
Herr. Da bin
ich ganz offen. Sie können ungestört arbeiten und ihrer künstlerischen
Intuition freien Lauf lassen.
Kavier. (nachdenklich)
Bis wann soll denn die Arbeit beendet sein?
Herr. Keine Sorge,
sie haben alle Zeit der Welt.
Kavier. Da muss
ich sie leider enttäuschen. Meine Verpflichtungen sind zu groß,
um mich auf ewig ihren Wänden zu verschreiben. Entschuldigen sie
mich... (will gehen)
Herr.Warten sie
noch einen Augenblick. Ihr Vorschlag, ein Bild von mir zu malen, bringt
mich auf eine Idee. Wenn sie mich ins Bild setzen wollen, kommen sie doch
nicht um die Behauptung herum, dass Gott existiert, oder?
Kavier. Seit
sie vor mir stehen, habe ich da kaum noch Zweifel.
Herr. Ich würde
mich bereits mit einem Christusbild von mittlerem Format begnügen.
Malen sie ihn mir, wie er am Kreuze leidet und mit einer hübschen
Ansicht von Golgatha dahinter. Ich habe schon so ein Bild. Es ist gerademal
ein paar hundert Jahre alt. Die armen Sünder kopieren es fast täglich,
und erhoffen sich so ein wenig von ihrem Leid zu ersparen. Die alte Vorlage
taugt nichts mehr, denn meine Jünger revoltieren und wollen nichts
mehr wissen von der Gerechtigkeit, die ihnen bei mir widerfährt.
Sie zweifeln selbst am Leiden Christi! Ihr Bild könnte anders sein
und das Gesicht Gottes auf der Welt würde ab jetzt die Züge
ihrer Meisterschaft tragen.
Kavier. Verstehe
ich richtig, es handelt sich um ein Bild?
Herr. Ein einziges.
Kavier. Der Kompromiss
gefällt mir. Sie werden es nicht bereuen. (schlägt
ein)
Herr. Leben sie
wohl.
der Herr reicht Kavier eine Visitenkarte, Kavier steckt sie ein
Herr. (zu
K3, der noch immer am Boden liegt) Aufwachen!
Keine Tricks. Du weißt doch: Bei mir ist noch keiner gestorben.
der Herr und K3 ab
3. Akt
Kavier sitzt allein auf der Bank, stützt
den Kopf in die Hände, versinkt in Gedanken, holt die Visitenkarte
aus der Tasche, studiert die Adresse und merkt nicht, dass ein Mann in
Arbeitskleidung mit Eimer und Schaufel gekommen ist.
Herr Bakowski. Schönen
Tag auch, können sie mal kurz Platz machen?
Kavier. (überrascht)
Wie bitte?
Herr Bakowski. Hier
liegt Dreck rum, sehen sie doch! Den will ich wegmachen.
Kavier. Ach so!
Sagen sie, mich interessiert, was sie eigentlich von der Bank hier halten.
Herr Bakowski. Nach
der Kunst müssen sie andere fragen. Aber die Bank hier, die ist in
Ordnung. Das ist ein Denkort, (lacht)
da fehlt nur die Dunstabzugshaube.
Kavier. Also
ihnen erscheint das auch nicht als Kunst?
Herr Bakowski. Sollen
wir ein Schild aufstellen: Das ist keine Bank!? Wieso interessieren sie
sich eigentlich so dafür?
Kavier. Ich bin
Künstler. Allerdings stelle ich keine Parkbänke auf. Ein richtiges,
meisterliches Landschaftsbild hat sicherlich mehr Freunde und ist (verzieht
abfällig das Gesicht) außerdem
wertvoller als so eine Parkbank, wie sie überall herumsteht. (zynisch)
Es ist nicht jedem gegeben, Bänke
aufzustellen.
Herr Bakowski.
...aber Parkbänke zu malen.
Kavier. Ich kann
sogar noch mehr als nur Bänke malen. Das heißt, ich kann, was
nicht viele können. Warum soll ich was anderes machen?
Herr Bakowski. Das
ist ja schön für sie. Und das wenige, das können sich auch
nur wenige leisten. Stimmts?
Kavier. Nicht
unbedingt, nur die bedeutungsvollen Arbeiten.
Herr Bakowski. Ach!
Meine Arbeit ist wohl nicht wichtig? Sie glauben wohl noch, dass sie mit
ihrer Bildung ihre sozialen Vorurteile rechtfertigen können. Da machen
wir doch gleich mal die Dunstabzugshaube an. (betätigt
in der Luft einen Schalter)
Kavier. Das habe
ich nicht gemeint. Ich rate ihnen nur, wenn sie wieder so eine Kunstaktion
machen, kaufen sie gute und richtige Kunst. Die wird mit der Zeit nämlich
wertvoller.
Herr Bakowski. Wer
beurteilt denn die Kunst, ob die gut ist und wertvoller wird, wir Moritzburger
doch nicht, weil die sogenannte gute Kunst ja nicht für uns gemacht
ist. Die ist doch nur für Leute, die sich den ganzen Tag mit diesen
Dingen beschäftigen können. Ich merke schon, heutzutage muss
man studiert haben, um die Kunst zu verstehen. Wir haben hier auch noch
andere Sorgen. Normaler Weise interessiert das die Künstler nicht
und uns interessiert nicht, was die Künstler machen.
Kavier. Das habe
ich heute schon mal gehört.
Herr Bakowski. Bei
der Bank ist das was anderes gewesen. Die haben wir mit den Künstlern
zusammen aufgestellt. Übrigens (nicht
ohne Stolz) die kleine Heckenrose hier
habe ich spendiert.
Kavier. Die haben
sie ja prima angestellt und sie habens nicht mal gemerkt.
Herr Bakowski. Als
die mir von ihren Ideen erzählt haben, (zeigt
auf die Bank) dachte ich erst, die sind
nicht ganz nüchtern. Abends in der Kneipe habe ich nämlich auch
so meine Ideen und die waren den Damen und Herren gar nicht so fremd.
Das nächstemal mach ich gleich bei denen mit. Kunst braucht ein Adressaten-
sie haben es doch schwarz auf weiss in der Hand.
Kavier. (zieht
die Visitenkarte aus der Tasche, zeigt sie Herrn Bakowski) Einen
Adressaten habe ich schon.
Herr Bakowski. (nach
kurzem Blick auf die Visitenkarte) Letztens
habe ich hier so ein Plakat aufgehängt. Darauf stand: Die Kunst ist
der Resonanzraum der Erkenntnis. (lacht)
Denken sie lieber noch mal drüber
nach. Einen schönen Tag noch.
Kavier. (schaut ziemlich unbewiesen
und erwidert abwesend) Ihnen auch.
Herr Bakowski. (zeigt
auf den Flügel am Boden) Ach so! Was
wird denn mit dem Flügel hier, ist das ihrer?
Kavier. Nein,
der ist vom Himmel gefallen.
Herr Bakowski. Also
wenn sie damit nichts anfangen können, dann würde ich ihn gern
mitnehmen- vielleicht bringt das Teil Glück.
Herr Bakowski mit dem Flügel ab, zurück
bleibt Kavier
Kavier. (zieht
ein Handy und nimmt die Visitenkarte zur Hand) Guten
Tag hier ist Kavier mit wem spreche ich...Herr Pfarrer? Grüss Gott,
sie hätte ich nicht vermutet...um einen Altar geht es?..das ist mir
so noch nicht vorgekommen!..selbstverständlich...mit Leidenschaft
für den Glauben...eine prächtige Erregung öffentlichen
Mitleids...versichere ich ihnen...Grüss Gott!
Kavier eilt davon
K1 und K2 erscheinen, K2 fehlt ein Flügel,
sie will hinter Kavier hereilen
K1. Lass ihn
ziehen. Endlich können wir in Ruhe hier verweilen und zurückblicken.
K2. Du willst
sein Schutzengel sein und redest zu mir wie der Gehörnte?
K1. Hast du denn
nicht bemerkt, dass er schneller redet als, wir noch laufen können?
Er trifft seine Abmachungen mit den Selbstgefälligen, die nur darauf
warten, weil ihnen sonst langweilig wird. Alle tun verständnisvoll,
halten sich für klug, wenn sie es durchschaut haben und sind ihm
am Ende noch dankbar. Der ruft gerade Journalisten an und erzählt
denen was von Versöhnungskultur, der Überwindung von Distanzen,
irgend so was. Das alles ist gedruckt bevor seine Leinwand trocken ist.
K2. In einem
hast du Recht. Wenn die Bilder von unserem Chef jetzt da unten gemalt
werden, können wir baden gehen.
K1. Eine gute
Idee, es ist schon so lange her.
K1 und K2 lehnen ihre Flügel an die
Bank und laufen hinunter zum See
Vorhang
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