Das Barockhaus - Projekt

Wolfram Höhne, Vortrag auf dem Symposium 'Multiple Existenzen. Kunst-Vermittlung-Kunst', ACC- Galerie Weimar, November 2000
 
Kunstvermittlung ist ein Begriff, der mehrere Ebenen umfaßt. Meine Ausführungen beziehen sich auf die Vermittlungsleistungen gegenüber dem Publikum. Nicht betrachtet wird die Vermittlung von Kunst innerhalb der Institution, wie sie durch Publizisten geleistet wird.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen spricht die Gesamtheit aktueller Kunstausstellungen eine Fachsprache der Formen. Für einen Großteil des Publikums ist deshalb der Besuch einer Kunstausstellung vergleichbar mit der Teilnahme an einem Kongress für Quantenmechanik. An dieser Stelle setzt Vermittlungsarbeit ein, die in Schulen oder bei Museumsführungen geleistet wird. Durch Interpretationsversuche oder Nachahmungsstrategien wird die Verständnisebene für Werke geschaffen. Dadurch wird beispielsweise erreicht, das nicht gegenständliche Malerei den Status einer etablierten Kunstform erreicht: Berufskünstler wie Laien sind inzwischen gleichermaßen auf diesem Sektor tätig.

Nehmen wir das Beispiel der Quantenmechanik hieße Vermittlung das Verfassen populärwissenschaftlicher Darstellungen. Das eigentliche Interesse an Quantenmechanik geht jedoch auf deren Relevanz für den technischen Fortschritt zurück. Es sind die elektronischen und optischen Geräte, die Eingang in unseren Alltag gefunden haben. In diesem Sinne sollte Kunst selbst eine Auseinandersetzung ermöglichen.

In dem Projekt „BAROCKHAUS“ war es unser gemeinsames Ziel die Verständnisebene durch die einzelnen Autoren selbst herzustellen. Wer die kulturgeschichtlichen Phänomene nicht kennt, unter deren Einfluß sich die bildende Kunst entwickelt hat, ist heute kaum in der Lage sich deren Inhalte zu erschließen. Unser Publikum sollte größer sein, als der Kreis von Ausstellungsbesuchern, die einer Bildungselite angehören.

Jens Herrmann und Andreas Paeslack waren die Initiatoren des Projektes, das in Moritzburg bei Dresden im Herbst 2000 stattgefunden hat. Die von ihnen erarbeitete Grundkonzeption sah es vor, zwischen den beteiligten Künstlern und Einwohnern des Ortes einen Dialog herzustellen, der ein ortsspezifisches Arbeiten ermöglichen sollte. Dieser Dialog war die Vermittlung der Werke während der Produktion. So das die Reaktionen auf veröffentlichte Vorhaben in die Werkform einfließen konnten.

Die Strategie bestand zunächst darin, das Projekt bereits in der Phase der Konzeption Bürgern der Gemeinde vorzustellen. Es sollte eine öffentliche Situation geschaffen werden, aus der sich Ansätze für die einzelnen Arbeiten ergeben konnten. In einem Gesprächsforum mit Moritzburgern zeigte sich erste Problemlagen und Wünsche.

Andreas Paeslack "Modellhaus" Andreas Paeslack
"Modellhaus"

Vermittlung durch das Einbeziehen anderer Personen

Die Gemeinde ist durch das kurfürstliche Jagdschloß ein beliebtes Ausflugsziel in dieser Region. Die Besucherströme laufen jedoch nicht durch den Ort hindurch sondern überbrücken lediglich den Weg zwischen dem Schloß und dem nahegelegenem Parkplatz. Andreas Paeslack schrieb das Honorar seines Werkvertrages als Preis in einem Modellbauwettbewerb aus. Die Moritzburger bauten in 15 Modellen ihre Ortschaft nach, die während der Ausstellung neben einem hölzernen Schloßmodell in einem Saal des Museums gezeigt wurden. Die Touristen waren aufgerufen die schönsten Modelle per Stimmzettel auszuwählen. Die Ausschreibung des Wettbewerbes im Gemeindeblatt hatte das Projekt ins Gespräch gebracht und das Grundverständnis für spätere Kooperationen geschaffen.

Andreas Paeslack,  Jens Herrmann "Moritzburger Ross" Andreas Paeslack, Jens Herrmann
"Moritzburger Ross"

Ein weiteres Projekt, das sich der Identität des Ortes widmete, war das »Moritzburger Roß«. In der Gemeinde befindet sich eines der wenigen staatlichen Gestüte in Deutschland. An den Zufahrtsstraßen nach Moritzburg stellten wir zwei hölzerne Roßsilhouetten auf. Das Vorbild für die Pferdefigur lieferte der Hengst Pasolini. An der Zeichnung der Pferdefigur arbeiteten mehrere Autoren sowie ein Mitarbeiter des Gestütes. Die Anfertigung und Aufstellung der Silhouetten gelang nur durch die gemeinsame Anstrengung von Handwerkern des Ortes, dem Verhandlungsgeschick der Verwaltung in der Frage des Aufstellungsortes und durch die Beteiligung mehrerer Künstler des Projektes. Als ein Punkt landschaftlicher Inszenierung avancierten die »Rösser« nach der Aufstellung zu einem beliebten Ziel für Spaziergänger.

Jens Herrmann, Andreas Paeslack "Aktualisieren" Andreas Paeslack, Jens Herrmann
"Aktualisieren"

Im Zentrum des Ortes gibt es ein Denkmal für die Künstlerin Käthe- Kollwitz, die 1945 dort verstorben ist. Den vernachlässigten Zustand des Gedenksteins nahmen Paeslack und Herrmann zum Anlaß, um durch die Hinzufügung eines Findlings, der eine Inschrift enthielt, erneut auf das Schaffen der Kollwitz hinzuweisen und gleichzeitig eine Kritik an der institutionellen Kunstpraxis zu üben. Die Inschrift 'Versteinerte Humanität'- dem institutionellen Kunst- und Kulturbegriff gewidmet formuliert die Kritik an der Praxis der Errichtung steinerner Würdigungen durch die Künstler der nachfolgenden Generationen und hält dem ein Handeln im Sinne der Kollwitz entgegen, die in ihrem Schaffen vor allem die Not verarmter Bevölkerungsschichten zur Darstellung brachte.
Das Vorhaben stieß bei einigen Teilnehmern auf Widerstände. Mein Einwand betraf, die Anwendung der Kritik auf die institutionelle Praxis an sich. Ich glaube, das der Aufmerksamkeitsverlust des Denkmals in der Öffentlichkeit ein spezifisches Problem der monumentalen Form ist, die ganze Stadtarchitekturen aus dem Bewußtsein ausblenden kann. Chrijstoph Boehme ordnete das Wort »institutionell« dem Sprachschatz einer „gesprächslosen Sprache“ zu, die bedingt durch die Vielzahl der Bedeutungen des Begriffes ungeeignet ist, um in eine überzeitliche Monumentalform gebracht zu werden. Auch die Gemeindemitgliedern, die in das Vorhaben integriert werden sollten, waren verunsichert. Denkmäler sind oft nur für die Dauer historischer Machtperioden unantastbare Bedeutungsträger. Die einzigen Parallelen für verändernde Eingriffe an Denkmälern sind die von Schändungen und Zerstörungen.
Paeslack und Herrmann gelang die Bewältigung der nun unumgänglich gewordenen Vermittlungsarbeit. Ein ortsansässiger Steinmetz übernahm schließlich die Arbeiten an der Inschrift und zwei Stadtplaner wurden im Zuge der Bemühungen um das Projekt mit einer Neugestaltung des Platzes beauftragt.

In den Vorbesprechungen hatte die Gemeindeverwaltung den Wunsch nach einem Denkmal für die Künstlergemeinschaft Brücke geäußert. Mit der Aufstellung einer »Blauen Bank« an einem Teich der Umgebung antwortete Andreas Paeslacks auf dieses geäußerte Bedürfnis. Eine Messingtafel enthält die Widmung für die Künstler dieser Zeit. Anstatt eines Denkmals gibt die Bank den Blick auf die Landschaft frei, die jene Künstler zur Malerei in der Natur inspirierte.
 
Wolfram Höhne "Motivtransfer" Wolfram Höhne
"Motivtransfer"

Zu meinen Ausstellungsbeiträgen zählte die Produktion einer Fotografie für einen Raum des Schloßmuseums. Dort war noch vor kurzer Zeit das Ölgemälde eines außerordentlich schweren Ochsen aus dem Jahre 1756 zu sehen. Im Zuge eines Staatsvertrages, der die Rückführung nach 1945 enteigneter Güter des wettinischen Fürstenhauses regelte, gelangten einige Ausstellungsstücke zurück in den Privatbesitz. Mit meiner Arbeit versuchte ich eine Neuauflage des Bildes, die das historische Motiv zeigte, welches im Umfeld moderner Landwirtschaft aufgenommen werden sollte. Das Modell für die Aufnahme lieferte der sächsische Bauernverband: den Rekordbullen »Clown«. Ich führte zahlreiche Korrespondenzen mit den Beteiligten Instanzen. So war es unter anderem mein Ziel, auch das Fürstenhaus in den Vorgang zu integrieren. Meine Versuche, das historische Bild anzuleihen, bzw. mein Vorschlag den Verkauf von Altkunst durch das Adelshaus zur Förderung der Gegenwartskultur zu verwenden, scheiterten. Entlang der historischen Machtverhältnisse hatte ich auf der Seite der Bauern meine Kooperationspartner gefunden.

Dialog zwischen Autoren

"Elefanten in Sachsen" Marcus Jansen
"Elefanten in Sachsen"
 
"Elefanten in der DDR" Jens Herrmann, Wolfram Höhne
"Elefanten in der DDR"

Einige der Beiträge, die für die Ausstellung im Schloß konzipiert wurden, nahmen Bezug auf bestehende Museumssituationen. Ines Knackstedt zeigte mittels Diaprojektion Varianten für der Ergänzung eines Wandbildes, dessen untere Hälfte im 2. Weltkrieg verloren ging. Chrijstoph Boehme entwickelte Fotos für einen Raum, dessen Hintergrund durch ein Panoramafoto des Teichufers aus den 70er Jahren geprägt war. Marcus Jansen produzierte ein Videotape, das im Scherbenraum des Schlosses zu sehen war. Zwischen den Vitrinen, die Scherbenfunde aus dem Schloßteich zeigten, konnten die Schloßbesucher mehrere Elefanten des Dresdner Zoos bei einer Nummer mit Kaffeetassen verfolgen. Jens Herrmann und ich nahmen den Gedanken Jansens auf, um eine weitere Videovorführung innerhalb des Raumes zu installieren. Ein Ausschnitt aus dem Fernsehen der DDR war zu sehen. Es ging um die Beantwortung der Zuschauerfrage „Wie verhält sich ein Elefant im Porzellanladen?“, die durch eine Demonstration beantwortet wurde. Der Scherbenraum wurde für die Dauer der Ausstellung um zwei unterschiedliche Statements bereichert.
 
Texte und mündliche Überlieferung

Sterne lügen nicht Jens Herrmann, Wolfram Höhne, Ines Knackstedt, Andreas Paeslack
"Sterne lügen nicht"

An der Produktion des Beitrags „Sterne lügen nicht“ waren vier Autoren beteiligt. Für die Dauer der Ausstellung schwammen zehn Schiffstonnen des sächsischen Schiffahrtsamtes im Moritzburger Schloßteich. Aus der Luft gesehen bildeten sie die Form von zwei Sternbildern nach, die auf dieser Seite der Erdkugel nicht sichtbar sind. Es wurde die imaginäre Durchbohrung der Erde an der Stelle des Moritzburger Schloßteiches visualisiert. Für den Spaziergänger jedoch war zunächst nichts anderes sichtbar als das merkwürdige Bild riesiger Bojen in dem vergleichsweise kleinen Teich. Noch während der Aufstellung der Bojen kursierten Gerüchte über den Anlaß für unsere Tätigkeit. Unter anderem wurde vermutet, das ein Schnellbootrennen um das Schloß stattfinden würde. Die entstandene Aufmerksamkeit konnten wir nutzen, um zumindest im Ort unser Anliegen auf verbaler Ebene mitzuteilen. Für die Tagesbesucher griffen wir auf Textbotschaften zurück, die wir an Bäumen anbrachten und als Informationsblätter verteilen ließen. Darüber hinaus hatten wir die Anbringung einer Infotafel auf dem naheliegenden Flughafen vorgesehen, den das Projekt richtete sich konkret an die Luftreisenden, die Moritzburg im Anflug auf Dresden überfliegen.
 
Vermittlung als Integration der Form in ihre Umgebung

Der Ausstellungsteil im Schloß fand inmitten der laufenden Dauerausstellung statt. Unter den Beiträgen waren solche, die sich in das museale Ensemble integrierten, wie auch Kontrapunkte dazu. Das Museumspublikum besteht größtenteils aus Tagestouristen, die eine der größten Hirschgeweihsammlungen Deutschlands und andere Jagdtrophäen besichtigen wollen. Die Eintragungen im Besucherbuch plädieren zumeist für einen Verbleib künstlerischer Gegenwartsproduktionen in den dafür vorgesehenen Räumen und bitten darüber hinaus diese weithin sichtbar zu beschriften. Die Museumsführer lernen über die Dauer der Ausstellung hinweg ein breites Repertoire der Argumente gegen die Kunst unserer Zeit kennen. Von dieser Kritik weitgehend verschont bleiben die Arbeiten, deren Integration angestrebt war. Allen voran ist die »Atomtorte« von Jens Herrmann zu nennen. In formaler Übereinstimmung zu weiteren Porzellanstücken im Raum erinnert sie an die ersten Atombombenabwürfe. Auch das naheliegende Dresden gehörte zu den möglichen Abwurfzielen.
Um so bemerkenswerter ist, das es Herrmann gelang, ein weiteres Stück zu produzieren, dessen Aufstellung im Schloß die Museumsdirektion untersagte. Es handelte sich um eine bedruckte A4- Seite. In dem Layout des Museumskataloges wird die Geschichte der sogenannten »Dragonervasen« erzählt. Diese tauschte der damalige Kurfürst gegen mehrere hundert Soldaten ein, die als Leibeigene an den preußischen König verkauft wurden. Der Erzählung von Fürst und Leibeigenen steht der Bericht über einen russischen Warlord und einen Soldaten des Tschetscheninenkrieges gegenüber. Nach dem Ausstellungsverbot im Schloß wird die Arbeit unter der Überschrift »Was sich über Zeiten gleicht« im Schaukasten der Gemeinde gezeigt.

In einem Raum des Schloßmuseums hängt das Bild eines seltsamen Vogels. Das Tier ist weiß, hat den Hals eines Kranichs, die Füße einer Ente und einen gekrümmten Schnabel. Neben der Tierfigur hat der Maler das Wort auf das Bild »Louwa« geschrieben. Den unteren Teil füllt ein Text, der das angeblich in China lebende Tier mit nüchternen Merkmalen beschreibt. Dem Bildrand entgegen wird die Schrift immer kleiner und die nicht abreißende Folge von Charakterisierungen läßt die Behauptung, das Tier existiere tatsächlich, fadenscheinig erscheinen.
Die Anwesenheit des Textes verändert die Bildaussage anstatt einer zoologischen Grafik sieht der Betrachter die Erfindung eines Tieres vor sich. Fragen tauchen auf: Wie ist China? Der Künstler fragte sich vielleicht: Wie kann ich China machen?
In diesem Beispiel bereichert die Anwesenheit eines Vermittlungsgedanken die Rezeption des Kunstwerkes.
Innerhalb des Barockhausprojektes lieferten die Autoren unterschiedliche Formen der Vermittlungsarbeit. Die Einbeziehung von Nichtkünstlern in die Produktion der Werke, mündliche Verlautbarungen, Textmitteilungen oder die Arbeit an der Integration des Projektes in ihr jeweiliges Umfeld waren die Mittel um ein Verständnis für die Werke herzustellen.
Dem entgegen steht die Sprachlosigkeit des Kunstraumes der Institutionen. Verbale Darstellungen sind selten zu finden und dann in den meisten Fällen so verfaßt, das die Distanz zwischen Werk und Publikum erhalten bleibt. In vielen persönlichen Begegnungen mit anderen Künstlern habe ich oft dieses Schweigen erlebt. Nicht verbalisieren heißt alles meinen. Denn: die Erscheinung des Ganzen beinhaltet die Komplexität sowieso. Diese aber läuft Gefahr zerstört zu werden, sobald sie verbalen Betrachtungen unterzogen wird.