Barockhaus 2000

Prof. Dr. Achim Preiss, Beitrag zur Publikation "Barockhaus- Aktualisierte Ausgabe 2000" (VDG- Verlag)
 
Einige Werke des Barockhaus- Projekts in Moritzburg haben die Künstlerinnen und Künstler zwar entworfen und konzipiert, die Ausführung und damit die Formdetails aber lagen in den Händen von ortsansässigen Nicht- Künstlern. Das "Moritzburger Ross" von Jens Herrmann und Andreas Paeslack ist im Wesentlichen ein Produkt der Zusammenarbeit von Moritzburgern und Künstlern, wobei insbesondere das dortige, berühmte Gestüt den zur Zeit leistungsstärksten Hengst "Pasolini" als Vorlage empfahl. Herrmann und Paeslack konzipierten auch die "Aktualisierung des "Käthe- Kollwitz- Denkmals" in Moritzburg, die Ausführung und damit auch einige Formentscheidungen oblagen einer örtlichen Steinmetzerei. Bei der Arbeit von Manuela Mangold "Profile" stellten sich Moritzburger als Modelle zur Verfügung, der Aufstellung der "Blauen Bank" von Andreas Paeslack standen die Mitarbeiter der Gemeinde zur Seite, der Sächsische Rinderzuchtverband verschaffte Wolfram Höhne das Motiv für seinen "Motivtransfer", nämlich einen Zuchtbullen, dessen Portraitfoto das Gemälde eines Bullen aus dem 18. Jahrhundert ersetzte, das bis vor kurzem noch das Kupferzimmer der Moritzburg schmückte. Schließlich konnte Andreas Paeslack einige Moritzburger zu Modellhausbauten überreden, die als Idealstadt zusammengestellt, das Modell der alten Moritzburg im Steinsaal des Schlosses umringten. Markus Jansen ergänzte dieses Arrangement mit einer Reihe von aufblasbaren Luftschlössern, die draußen auf dem Schloßteich schwammen.
Diese der insgesamt 15 Arbeiten lassen also eine gemeinsame Absicht erkennen, die auch in dem Untertitel des Projekts "Die Kunst braucht einen Adressaten" angedeutet wurde. Es ging um die Formmitbestimmung der Moritzburger an den künstlerischen Werken, da sie ja mit diesen Erzeugnissen leben, sie im öffentlichen Raum dauernd vor Augen haben und sie daher als ihr Miteigentum betrachten sollten. Diese Methoden widersprechen einer professionellen, ernsten und akademischen Kunstproduktion, die zwar solche, im weitesten Sinne volkspädagogischen Strategien kennt und anwendet, ohne aber auf die Autonomie der Kunst zu verzichten. Das heißt, es bleibt bei der angestammten Erhabenheit des Künstlers über das Publikum, das es zu unterrichten und zu bilden gilt, dessen Praxis als Laienwerk aber nicht den Rang der professionellen Kunst erhält.
Die Aktualisierung des Käthe- Kollwitz- Denkmals durch Zufügung eines Denksteins, der laut Inschrift der versteinerten Humanität des institutionalisierten Kunstbetriebs gewidmet ist, weist darauf hin, daß die "Barockhäusler" die Kunst weiterentwickeln wollen durch eine kontrollierte Aufgabe der künstlerischen Autorität und Kompetenz. Auch Käthe Kollwitz, die 1945 in Moritzburg verstarb, hatte mit den Kunsttraditionen gebrochen, indem sie gesellschaftliche und politische Themen ihrer Zeit bildwürdig machte, die man bis dahin wegen mangelnder Erhabenheit und Unterschichtsspezifik ignoriert hatte.
Ähnlichen Sinn verfolgt die "Blaue Bank"- das Denkmal der Künstlervereinigung "Die Brücke". Aufgestellt ist dieses Ready- Made vor dem Landschaftspanorama der Dippelsdorfer Teiche, das seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts nahezu unverändert geblieben ist, als sich die Brücke- Maler Kirchner, Schmidt- Rotluff, Heckel und Bleyl hier trafen, um ihre expressionistischen Natur- und Landschaftstudien anzufertigen. Auch für diese Künstler kam eine Fortsetzung der akademischen Kunsttraditionen nicht mehr in Frage. Sie begaben sich auf die Suche nach einer neuen Authentizität, die sie zurück zu archaischen Kunstformen führte, verbunden mit der Hoffnung, damit ursprüngliche Empfindungen und unmittelbare Wirkungen auch bei einem Laienpublikum auslösen zu können. Diese Kunst, die vor hundert Jahren noch eine Revolution darstellte, hat sich heute, nach etlichen Kämpfen, Rückschlägen und Siegen, etabliert, ist anerkannt und wieder traditionell geworden und ernährt bis auf wenige Ausnahmen nur noch die öffentlich Bediensteten. Die konventionellen Formen, Motive und Inhalte lassen sich daher außerhalb der Institutionen schon aus rein materiellen Gründen nicht bewahren und weiterentwickeln. Weil die "Barockhäusler" als Berufsanfänger nicht zu den Etablierten gehören und zugleich von einem großen gesellschaftlichen Umbruch erfaßt worden sind, hat der von ihnen angestrebte Traditionsbruch also eine gewisse Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit. Sie haben ähnlich wie die Brücke- Künstler oder die Kollwitz als Ausweg die Volkstümlichkeit gewählt, das heißt, ein vorhandenes populäres Kunstverständnis bei ihren Entwürfen und Konzepten weitgehend berücksichtigt und bei der Formfindung mitbestimmen lassen. Das sollte aber nicht mit jener kommerzialisierten Form volkstümlicher Kultur verwechselt werden, die nur Unterhalten, Ablenken und Umsatz machen will, denn die Gruppe hat schon eine politische Botschaft, die sich kaum zur Kommerzialisierung eignet.
Wir stehen heute vor dem Problem eines krisenbedingten Zerfalls der Gesellschaft in soziale Ghettos. Die Krisenerwartung veranlaßt viele Menschen dazu, ihre Besitztümer zu wahren und vorsorglich zu mehren. Administrationen beschaffen sich durch eine Vermehrung von Regelungen und Gesetzen fortwährend mehr Kompentenzen und Macht, angehäuftes Kapital trachtet nach immer höheren Renditen, so daß die Anzahl der Mittellosen und Unbedeutenden auf der anderen Seite ständig wächst und damit auch die Aggression und Staatsverdrossenheit. Die Ernte bleibt aus, weil man das Saatgut hortet. Der akademisch dominierte Kunstbetrieb, seit Jahren von der Krise betroffen, macht darin keine Ausnahme. Auch er verwaltet seine Pfründe zum eigenen Nutzen und nach eigenen Gesetzen und vernachlässigt seine vornehmste Aufgabe, nämlich die der Kommunikationsstiftung. Im Gegenteil leistet er der gesellschaftlichen Ghettobildung sogar Vorschub durch Selbstghettoisierung. Den "Barockhäuslern" blieb also keine andere Wahl als wenigstens im kleinen Kreis die soziale Kommunikation wieder herzustellen, was durch die Abgabe von Kompetenz geschah. Es geht um den Versuch, das Publikum wieder an der Kunst teilnehmen zu lassen und zwar durch Teilen, in diesem Fall von Wissen, Fähigkeiten und Verfügungsmacht. Somit ist das Projekt Barockhaus als ein Modellversuch zu werten, den Wohlstand durch Teilen und Abgeben zu mehren, was methodisch auch für die politische und wirtschaftliche Dimension der Krise Gültigkeit erlangen kann. Es handelt sich also nicht um Volkskunst im kommerziellen und affirmativen Sinne, sondern um die Kunst des Teilens im politischen Sinne. Das hört sich verwegen an, greift aber letztlich nur auf eine sehr alte Weisheit zurück, die besagt, daß man dem allgemeinen Mangel nicht durch Raffen und Sparen, sondern nur durch Teilen und Abgeben abhelfen kann. Das Volk war dem Herrn in eine einsame Gegend gefolgt und seine Jünger wiesen ihn darauf hin, daß die fünftausend Menschen heimgehen sollten, da die Nacht hereinbrach und außer fünf Broten und zwei Fischen keine Nahrung vorhanden war. Darauf brach Christus das Brot und antwortete, daß die Gemeinde bleiben und die Jünger Brot und Fische austeilen sollten. Alle wurden satt, sammelten ein, was noch übrigblieb- zwölf Körbe voll. So beschreibt die Bibel jedenfalls sinnbildlich den Erfolg dieser Methode, bei der schließlich weit mehr übrig bleibt als das wenige, was man anfangs weggegeben hat. Es ist nur erstaunlich, daß dieses jahrtausende alte Wissen auch bei den Gebildeten immer dann in Vergessenheit gerät, wenn es am nötigsten gebraucht wird.
 
Prof. Dr. Achim Preiß lehrt am Lehrstuhl für Architekturgeschichte, Bauhaus- Universität Weimar, er kuratierte die Ausstellung "Aufstieg und Fall der Moderne" in Weimar 1999