Der Alptraum: Kunst im öffentlichen Raum

Andreas Paeslack, Ines Knackstedt
 

Kunst im öffentlichen Raum ist populär geworden. Damit hat sich zwar eine Hoffnung der Ziehväter dieses gesellschaftspolitisch motivierten Kunstbegriffs realisiert, doch wenn diese wüssten, was heutzutage alles Platz nimmt in dem zur Worthülse verkommenen Begriff, würden sich die Herren, die schon das Zeitliche gesegnet haben, die verbliebenen Haare raufend im Grabe herumdrehen. Von den noch lebenden Mitautoren gibt es seitenweise Abschiedsbriefe zum Thema zu lesen, sie ziehen sich enttäuscht und misstrauisch aus dem formulierten Anspruch zurück oder tragen die Zeitlichkeit und damit den Begriff gleich selbst zu Grabe. Die nachstrebende Jugend unterdessen speckt den politischen Anspruch zur Farce ab und gleicht den Begriff kurzer Hand der Zeitlichkeit und somit den ökonomischen Verhältnissen an oder versucht sich in Neuformulierungen, die zwar in der Theorie engagiert und flüssig zu lesen auftreten, von der politischen Tragweite und der praktischen Radikalität ihrer Väter aber Lichtjahre entfernt sind. Konkurrenzverhalten, das selbstverliebte Einrichten in Eigensinngebieten und mangelnde Souveränität gegenüber dem zur systematischen Ideologie ausgebauten Kunstbetriebs tun ihr Übriges. Unterdessen hat die gesellschaftsökonomische Logik den Begriff und das damit verbundene praktische Vermögen der Kunst im öffentlichen Raum entdeckt und Profit orientiert erobert.
Kunst im öffentlichen Raum ist schick geworden. Städte jeder Größe leisten sich im öffentlichen Raum immer wieder umfangreiche Ausstellungen und Projekte, die als wichtige Aspekte urbaner Kultur und Stadtentwicklung angepriesen werden. Im Wettbewerb der Kommunen sind solche Veranstaltungen zu einem Mittel der Imagewerbung geworden und somit zu einem entscheidenden Standortfaktor.
Ob Ulmer Spatz oder Berliner Bär, wer was auf sich hält, kommt ohne ein ordentliches Stück Kunst vor der Tür, am besten gleich neben seinem Firmenlogo, nicht mehr aus. Kunst vor der Filiale oder eine ansehnliche Sammlung im Lager zeigt an: ich will wer sein und kenne die Spielregeln des Geschäfts, meine gesellschaftliche Zufriedenheit zahle ich euch clever in Form von Steuer vergüteter Kunst zurück.
Sachverhalte, wie die Privatisierung des öffentlichen Raumes, der es entgegenzuwirken gilt, oder Schlagworte, wie Prozesshaftigkeit, Ortsbezogenheit, Zeitgebundenheit und Partizipation spielen in der aktuellen Betrachtung der Produktion von Kunst, die Ihre Produktionsbedingungen im Blick haben sollte, um progressiv zu sein, keine Rolle mehr. Der Anspruch, Kunst nicht nur in den bürgerlich elitären Museen, sondern auch im öffentlich, demokratischen gedachten Raum als kritische Auseinandersetzung mit Realität zu verankern, um somit ein größeres und anderes sozial agierendes und denkendes Publikum zu erreichen, und damit tendenziell eine Gesellschaft der Gemeinschaftlichkeit zu formulieren, sind aufgegeben worden. Die Kontextualisierung ehemals autonomer Werkabsichten und die damit verbundene gesellschaftliche Intervention ist genauso auf der Strecke geblieben, wie die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung. Die Herausbildung eines asozialen und konsumistisch orientierten Betrachters wurde nicht vereitelt, sondern Mitbestimmung als soziale und mitleidende Dienstleistung gelesen. Statt die Politik in die Pflicht zu nehmen, die dazu verpflichtet ist, einen Ausgleich von Qualitäten und Quantitäten, um Gerechtigkeit mit Hilfe der Steuergelder, zu schaffen, kokettiert die Kunst als soziales Gewissen. Das freiheitliche und kritische, souveräne Wesen der Kunst wurde einer sich den ökonomischen Bedingungen verdankenden Repräsentationskunst geopfert. Die weitgehend unerforschten Ursachen dafür liegen zum einen in der Trennung von geistiger und körperlicher und somit fremdbestimmter Arbeit, die durch das Wohlstandsabkommen der Arbeitsteilung unsere ökonomische Strukturierung bestimmt. Zum anderen liegen sie in der absichtsvollen Scheidung von subjektiver und objektiver Verhältnismäßigkeit. Mit der Auswirkung das alles, was sich subjektiver, also individueller Wahrnehmung verdankt, den objektiven Verhältnissen gegenüber entkräftet wird. Bleibt die Frage: Warum? Und wer jetzt noch Zeit und Muße hat, weiter zu bohren, wird um das Thema Eigentums- und Geburtenverhältnisse nicht herumkommen! Denn schon Walter Benjamin vermutete, dass der Kapitalismus als Parasit aus dem Christentum hervorgegangen ist. Oder wie eine muslimische Weisheit unmissverständlich besagt: Das Spirituelle braucht eine ökonomische Basis. Der Kunst fällt somit in der bürgerlichen Gesellschaft die Aufgabe zu, einen Gegenpol zur durchkommerzialisierten Gesellschaft zu markieren, wenn sie ihren unabhängigen Charakter wahren will.
Doch statt kritischer Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, ist künstlerische Gartenzwergmentalität in Form von großgezogenen Privatikonografien und zusammenhangslos abgeworfener Stadtmöblierung zu sehen. Kunst ist zur Wahre geworden und die Künstler gleich mit. Selbst zur Olympiade wurden Kunsteulen nach Athen getragen, dem formalistischen Anspruch entsprechend natürlich aus Plastik. Dem Sprichwort vertrauend denkt jetzt jeder an Unsinn, weit gefehlt, es handelt sich einfach um eine nüchterne Geschäftsidee, die sich der erfolgreichen Zusammenarbeit der DaimlerChrysler Bank und dem Marketingartisten Ottmar Hörl verdankt. Denn dass Eulen in Athen wirklich ausgestorben sind und ein altes Sprichwort nicht mehr greift, konnte sich selbst die sonst so schlau agierende und gut recherchierte Abteilung Marketingkunst nicht vorstellen. Kurz gesagt: Im Grunde genommen würde es keinen mehr wundern, wenn an der Börse bekannt gegeben würde, dass die Nationalgalerie mit VW fusioniert wäre. Somit bewahrheitet sich, was seit langem vermutet wurde. Kunst, oder anders formuliert Kunst im öffentlichen Raum ist ohne kritische Töne immer Reklame.
Nicht besser ist es dem institutionell verwalteten Begriff der Kunst am Bau ergangen, durch seine Praxis und in seinem Ansehen zum Sozialhilfekonzept degradiert, ist er zum privatwirtschaftlichen Kumpelnest abgesoffen. Von demokratischem Wettbewerb keine Spur.
Und wer jetzt meint, das sei doch alles nur Polemik, dem empfehle ich eine Reise für die denkenden Augen im Speisewagen der Deutschen Bahn AG mit einem edlen Tropfen Weißburgunder im Glas und einem Menü zusammengestellt von Alfred Biolek und Eckart Witzigmann auf dem Teller. Eine Zugfahrt im ICE zum Wochenendtarif von Berlin nach Hannover mit Blick aus dem Zugabteil auf die Produktionsstätten unseres Wirtschaftswachstumswunders, den Produktionsanlagen von VW in Wolfsburg. Hier wird der Zeit entsprechend an den Gleisen den Reisenden als Rezipienten, (rezipieren: fremdes Gedanken-Kulturgut aufnehmend, übernehmend), im Visier mit künstlerischen Piktogrammen, die schöne neue Wohlstandswelt mit dem VW Logo im Rücken angeworben und das Schicksal der ästhetischen Funktion von Kunst gleich mit geschrieben.
„Prost Mahlzeit!“ wünschen Ines Knackstedt und Andreas Paeslack.