Claus D. Worschech
Kunst und Architektur - oder: Der Besuch der Schwiegermutter
 

Für einen bekennend bindungsfähigen, inzwischen ausgewachsenen und halbwegs geratenen Sohn der Mutter aller Künste bleiben unausweichliche Begegnungen nicht aus. So ist das eben, wenn aus Liebelei Liebe wird. Denn die Liebe hat eben auch eine Mutter. Und deswegen hat man diese auch mal zu Besuch, falls sie sich traut oder sie es ihrerseits für angemessen hält. Man ist gelegentlich auch bei ihr. Immer ganz nett und meistens Balsam für Leib und Seele. Das schließt Streit um die richtige Würze im Schaffen nicht aus, führt aber mitunter zu der immer wieder unangenehmen Situation des Hinterfragtwerdens über das sich Lösende von reiner Zweckerfüllung. Wenn die versprochene Liebe nicht mehr flammt, dann hätte man die Tochter ja ehedem auch gleich dem Müllerburschen anvertrauen können... Hm. Und doch freue ich mich auf den herausfordernden Blick der Schwiegermutter immer wieder auf’s neue.
Dafür gibt es die üblichen Anlässe neben den eher zufälligen Begegnungen: Ein mehr oder weniger wichtiger (Ent)Wurf bedarf kurz vor der Fertigstellung noch einer gewissen Vollkommenheit, meint man allgemein. So wie Stil und Etikette eben ein passendes Einstecktuch für den Maßanzug verlangen oder besser noch, der Blickfang für das an sich schon aufregende Dekolletè - pardon, ich meine das Foyer - der Veranstaltung erst das gewisse Etwas zu geben scheint. Egal, beides ist schließlich nur für die Begegnung da aber mit welch einem Aufwand…
Schließlich sind da noch viele Brüder und Schwestern, Nichten und Neffen und welche, die sich jedweder Einordnung am liebsten entziehen. Wettbewerbe für Kunst am Bau - so hieß das früher - dienen als beliebte Familienbegegnung und enden doch manchmal im Streit. Die gezielte Bitte um Unterstützung ist da eher seltener anzutreffen und kommt nach Meinung der Ersuchten sowieso immer zu spät. Das heutige Leben lässt ein harmonisches Miteinander formal und inhaltlich kaum noch zu. Alles ist streng reglementiert und fast ausnahmslos jeder muß sehen, wie er seinen Futtertrog voll bekommt. Man ist geneigt, sich zurückzusehnen zum Patriarchen, der in aller Ruhe bestimmte, sprich zuteilte, was und wo etwas steht oder hängt. Die alten Zöpfe sind offiziell abgeschnitten. Jetzt hat jeder selbst zu sehen, wie er klar kommt im Dickicht von Pluralismus und Toleranzgebot. Familiengefüge lösen sich auf. Tradierte Regeln geraten außer Kraft oder sind nur noch mit viel Rhetorik und Dialektik aufrecht zu erhalten. Familienfeste sind verpönt und selbst das dabei mitunter noch geübte Boccia findet kaum noch Teilnehmer - wer verliert schon noch gern. Überhaupt: Die einen wollen nur noch zur Jam, die anderen ihre Ruhe. Die orientierende Auseinandersetzung um Sinn und Zweck des eigenen Daseins gerät in den Hintergrund. Die Abbilder dessen sind kaum gefragt. Lebe im Heute und nicht im Gestern oder Morgen. Botschaften sind unerwünscht, na Belehrungen erst. Metabotschaften werden immer weniger erkannt.
Und womöglich soll da aber auch nicht zu tief hinterfragt werden. Immer hübsch oberflächlich bleiben. Small Talk über alles. Es hilft nur noch Abschalten! Oder man kommt auf den Hund.
Aber jetzt mal im Ernst: Architektur ist keine Kunst, sagen momentan weltweit beliebte Architekten in die Kamera, die dabei genüsslich das Skizzieren des Architekten einfängt. Was Architektur ist, bestimmen Architekten! (sagt der soziologisch den Zeigefinger hebende Architekturtheoretiker) Und was bleibende Kunst ist bestimmen Künstler… Falsch! Das bestimmt die Gesellschaft! (sagte der Kunstwissenschaftler früher) Nein, das legt einzig der Künstler fest jetzt. Schwein gehabt.
Und die Schwiegermutter? War nicht bleibend sondern temporär zu Besuch. Sah meine mühsam aufgespannten Malgründe und wollte sich eilends darüber hermachen. Es würde auch gar nicht lange dauern und alles wäre hübsch voll mit ihren Botschaften. Nichts da, im Moment liebe ich diese reinen Gründe vor dem harten Sichtbeton…