Jens Herrmann, Wolfram Höhne, Ines Knackstedt, Andreas Paeslack (Kooperative Kunstpraxis)
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Ein Brief an den Kulturbürgermeister (ausgestellt im Kulturrathaus Dresden „KUNSTFOYER“, vom 7.9. bis 30.9.2004)


Inschrift am Rathaus von Mostar
„Das Private vergessend, sorge Dich um das Öffentliche“
Inschrift am Rathaus von Mostar, Foto: Jan Herrmann und Jens Herrmann
 
Sehr geehrter Herr Dr. Vogel,
herzlichen Dank für die Möglichkeit, eine Ausstellung in Ihrem Hause realisieren zu dürfen. Das Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit betrifft sowohl den Gegenstand Ihrer Arbeit als auch den unserer eigenen künstlerischen Produktion. (Dazu einige Anmerkungen im Anhang.) Es erscheint uns deshalb nur allzu sinnfällig, im Rahmen unserer Präsentation im Kulturamt der Stadt Dresden einen Gegenstand alltagspolitischer Natur zu unserem Thema zu machen.
Eines unserer letzten Projekte, anlässlich dessen wir ein Thesenplakat zum Verhältnis zwischen Kunst und Öffentlichkeit verfasst haben, brachte uns unverhofft in Verlegenheit. Weder wir noch der Sächsische Künstlerbund verfügten über das notwendige Kapital, die produzierte Auflage im Stadtbild zu plakatieren, und damit eine öffentliche Diskussion auszulösen. Der Artikel 5 des Grundgesetzes, nach dem „jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“, vegetiert dieser Erfahrung nach allenfalls als leere Worthülse im Werbedschungel des öffentlichen Raumes. Die gesellschaftsökonomische Logik greift dem, der sich aufgrund seiner gesetzlich garantierten Grundrechte am demokratischen Meinungsstreit beteiligen möchte, tief in den Geldbeutel und kriminalisiert die einfachste Form der Äußerung ohne Anwesenheit der Person: den öffentlichen Anschlag. Auch wenn wir jetzt ein wenig orakeln: wem bereits der Anschlag eines Zettels an der Straßenecke verwehrt bleibt, der neigt womöglich zu gegebener Zeit auch zu anderen Formen des Anschlags auf ein restriktives Umfeld.
Ob Straßenlaterne oder Müllcontainer, Postbriefkasten oder Häuserwand, Dachrinne oder Verkehrsschild: der ansehnliche Wildwuchs an Zetteln ist ein eindeutiges Zeichen für das Bedürfnis nach öffentlicher Äußerung. Mit der Vielzahl politischer Statements findet ein Missstand an praktizierbarer Demokratie seinen Ausgleich. So zeugen die Ankündigungen nichtkommerzieller Veranstaltungen von einem Kulturleben, das ohne jegliche finanzielle Unterstützung auskommen muss. Individuelle Mitteilungen, wie die Suche nach der entlaufenen Katze oder dem Rentner, dem die Waschmaschine nach oben getragen werden soll, entstehen aus einem Verlust an Kommunikation in der Anonymität des Stadtlebens. Aus den Höhen intellektueller Betrachtung gesehen, mag es sich dabei um ein interessantes soziologisches Phänomen handeln, praktisch aber haben die Plakatierenden mit der drohenden Gefahr ihrer Kriminalisierung zu kämpfen. Denn bekanntlich wird auch das Eigentum durch das Grundgesetz geschützt.
Wir möchten Sie nun als Kulturbürgermeister der Stadt Dresden für die Einrichtung und Betreuung öffentlicher Plakatierungsgelegenheiten gewinnen, die es jedem erlauben, kostenfrei, unzensiert und ohne der Gefahr einer Kriminalisierung publizieren zu dürfen. Gemeinsam mit Ihrer Institution wollen wir geeignete Flächen im städtischen Bestand finden und die Aufstellung von Litfaßsäulen und ortsspezifisch gestalteten Aushangobjekten realisieren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden daraus Orte des Zusammentreffens und des öffentlichen Meinungsstreits entstehen, die von einer Lebendigkeit getragen werden, die vielleicht auch Sie in weiten Teilen unserer elitären und zu Tode professionalisierten Kulturlandschaft vermissen. Dresden wäre die erste Stadt, die dem demokratischen Grundrecht auf freie Meinungsäußerung eine praktische Anwendung und eine sinnliche Präsenz im Stadtraum geben würde.
Mit freundlichen Grüßen, Kooperative Kunstpraxis
Überdimensionale Brief im Kunstfoyer
Kooperative Kunstpraxis „Sie haben neue Post“, Ein Brief an den Kulturbürgermeister der Stadt Dresden, 4 Briefseiten 3,5mx2,5m, Foyer des Kulturamts,2004
 
Anlage: Das Vermögen der Kunst
 
Kunstwerke gelten als Symbole individuellen und freiheitlichen Handelns. Sie sind Zeugnisse einer der Wahrheit verpflichteten, künstlerischen Produktion. Ihre Wertschätzung, wozu auch Hass, Unverständnis und Ablehnung gehören, findet darin ihre Begründung. Sobald man jedoch hinter die Fassade üppigen Formenwachstums blickt, muss man feststellen, dass 99 Prozent der Kunstproduktion sich eben nicht souveränem Handeln verdanken, sondern nach objektiven Verhältnissen ausgerichtet ist, wie die Kompassnadel zum Nordpol. Mit einem Wort: Repräsentationskunst. Ein Widerspruch, der seine Ursache in der unentrinnbaren Anpassung der Künstler an die gesellschaftsökonomische Logik findet. Die individuelle Entfremdung und Angleichung, die damit einhergeht, erzeugt ein Bild der Unfreiheit.
Auf Kunstwerke, die ihre Entstehung sekundären Repräsentationsabsichten verdanken und deren Produktionsbedingungen außer Acht geblieben sind, ist der Begriff der Freien Kunst nicht anwendbar! Sie werden irrtümlich als Kunstwerke bezeichnet.
Die Züge des Kunstklischees beginnen im Kleinen mit den Auswüchsen luxuriöser Warenpräsentation, wie Hängesystemen, Aluminiumrahmen und exklusiven, weiß getünchten Räumlichkeiten, die ein permanentes Bild der Negation, der Abwesenheit von Realität, schaffen. Im großen Stil ist es der freiheitliche Charakter der Kunst, der heraufdämmert, sobald mal einer frivol mit der Freiheit kokettiert, und daraufhin Künstler wie Aussteller, ja selbst den Staat, der dieses unterstützt, im Lichte des bürgerlichen Grundwertes erstrahlen lässt.
Dort, wo die Stürme der Welt nicht hineinschlagen, in den Ateliers, Galerien und kunstinteressierten Intellektuellenkreisen, wird die freiheitliche Gesellschaft behauptet, die in der Realität längst auf der Strecke geblieben ist. Während die ungebremste Ökonomie den Verlierern die Hälse zuschnürt, schmückt die Künstlerschaft in exklusiven Kreisen die Wände der Wohlstandsbürger und der Institutionen. Sie vertreibt den Nachgeschmack eines Systems der Ungleichheit und Ausbeutung mit eingeübtem Strich, der Stilgeschichte dienend, in einer Badewanne des erhabenen Gefühls.
Der Ausverkauf gesellschaftlicher Werte in der Kunst müsste nicht weiter beunruhigen, wenn diese nicht zu einem beträchtlichen Anteil öffentlich finanziert wäre. Den profitorientierten Künstler interessiert nur die persönliche Vorteilnahme. Von der Kulturindustrie zum Genie erhoben, verfälscht er absichtsvoll die Produktionsbedingungen und kopiert die Vorbilder unter falschen Vorzeichen dem Zeitgeist entsprechend bis zum Erbrechen. Kunst von der Rolle wie Ölschinken und Hochglanzabzüge werden marktgerecht am Fließband für den Spekulanten produziert und verdanken sich ausschließlich einer konformistisch verengten Wahrnehmung. Sie tragen das Prädikat historistische Repräsentationskunst zu Recht. Solch opportunistisch agierendem Herrschaftspersonal kann es nur recht sein, wenn ihm zusätzlich auch noch öffentliche Gelder in den braunen Salon geschoben werden. Erst wird ihnen die Produktion bezahlt und dann können sie diese auch noch Gewinn bringend veräußern. Dem Steuerzahler, der die Kunst somit mehrfach finanzieren darf, wird das ein ewiges Rätsel bleiben. Erst finanziert er den Erhalt der Institutionen, dann die Produktionsmittel der Künstler, und zu guter Letzt verlangt man noch Eintrittsgelder an der Museumskasse von ihm. Ganz abgesehen davon, dass er sich persönlich von seinem Einkommen solch ein dekoratives Stück Herrschaftsarchitektur niemals leisten kann.
Nicht besser ist es um die Situation im öffentlichen Raum bestellt. Aufgeblasene Privatikonografien ins Freie getragen und zusammenhangslos abgestellt, werden von der Bevölkerung mit Vandalismus quittiert. Kein Wunder, denn auch im öffentlichen Raum kann von Mitbestimmung keine Rede sein. Stadtmöblierung, so weit die Blicke reichen. Mit den Labels der Konzerne oder der institutionell verwalteten Welt im Rücken erscheinen alle öffentlichen Kunstwerke als Formen von Werbung. So wie der Kunstbegriff sich ständig erweitert hat, so uferlos ist die Produktion geworden, die darin logieren will. Nicht neue Qualitäten, sondern vor allem Quantitäten haben sich versammelt und belasten die Entfaltung des politischen Begriffs Kunst im öffentlichen Raum.
Und das alles im Namen der Kunst, des kreativen Potenzials, das durch naive Künstlernaturen als konformistisches, institutionell verwaltetes Objekt in die Geschichte eingehen muss, und von dem eigentlich erwartet wird, dass es unsere Gesellschaft positiv und damit zukunftsorientiert verändert. Nicht unerwähnt darf an dieser Stelle bleiben, dass die Ausbildungslager für diesen systematischen Kunstbegriff, die halbintellektuellen Brutstätten für diese Katastrophe, sich ehrenvoll Akademien nennen dürfen. Das akademische Verweilen in einer handlich systematisierten Kunst verhindert deren zeitgenössische Fortschreibung und beschert uns heute die Anwendung der Kunstgeschichte als katechistische Gebetsmühle. Hinzu kommt ein mental vergreistes Lehrpersonal, das jede unvoreingenommene Auseinandersetzung mit der Realität verhindert und nur noch durch seine Pensionierung aufzuhalten ist.
Trauriger Weise erstrahlt damit das Vermögen der Kunst im Licht dieses ideologischen Kunstbegriffs nur noch in Form von Eigenwerbung. Somit bleibt, wen wundert es, das breite Interesse der Bevölkerung an aktueller Kunst auf der Strecke. Künstlerische Selbstverliebtheit und Realitätsferne wird zu Recht mit Unverständnis quittiert. Aber auch hier helfen Klischees. Das ferngebliebene Publikum wird einfach deklassiert, indem man ihm kurzer Hand das Bildungsniveau abspricht. Doch damit nicht genug: Künstlern, die eine kritische Auseinandersetzung anstatt der alles dominierenden Anpassung fordern, wird kurzsichtig finanzieller Neid unterstellt. Nicht mehr Progressivität, sondern Verkaufszahlen und Höchstpreise von selbst ernannten Sammlerkuratoren, die ihr Eigentum in der Regel fraglichen Ursprungs und nicht eigener Arbeitsleistung verdanken, bestimmen heute die Qualitätskriterien für Kunst. „Kunst ist das, was gekauft wird“, und „in ist, wer in der Sammlung drin ist“ .
Gerade die öffentlichen Institutionen müssten dieser Entwertung der Kunst ihrem gesellschaftlichen Auftrag nach entgegentreten. Doch ein nennenswerter Unterschied zwischen privat und öffentlich finanzierter Kunst ist schwer auszumachen. Die öffentliche Hand hat sich in die Logik des Marktes eingeordnet. Sie agiert unselbständig und sucht nicht mehr nach der gesellschaftlichen Sinnstiftung, zu der sie verpflichtet ist. Die Institutionen teilen die Kriterien des Marktes und sonnen sich in Repräsentationsinteressen, denn auch sie sind heute fest in der gesellschaftlichen Ökonomie verankert. Durch ihre Sammlungspolitik avancieren sie zu den eigentlichen Produzenten von Kunst und verführen den naiven Teil der Künstlerschaft sowie deren kunstwissenschaftliche Textdekorateure zu ihren Erfüllungsgehilfen. Somit versprechen die Kunstwerke den Erhalt der Institutionen, und die Institutionen versprechen neue Kunstwerke.
Die öffentliche Finanzierung der bildenden Kunst ist umstritten. Wenn Kunstproduktion tatsächlich eine individuelle Sache sein soll, dann muss sie die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie entsteht, im Blick haben, sie zum Gegenstand ihrer Arbeit machen und auf der Ebene der Kunstwerke zur Anschauung bringen. Künstlerische Produktion ist kein Loch in der Natur und die Produktionsbedingungen sind keine Phantasie, sondern die nackte Wirklichkeit. Alle Kunstwerke werden vor dem Horizont gesellschaftlicher Verhältnisse produziert und gelesen. Künstlerische Individualität sollte sich freiheitlich in eine Beziehung zur gesellschaftlichen Realität setzen. Das bedeutet für die Zukunft keine historistischen Produkte, keine Produktion nach Rezept und keine Repräsentationskunst! Nicht die Förderung der Kunst als Verwaltungsakt, sondern erst die gemeinsame Arbeit zwischen Künstlern und den Institutionen an öffentlichen Problemfeldern kann die Kunst in die soziale Gesellschaft integrieren. Es geht nicht um einseitige Förderpolitik als viel mehr um gemeinsame Investition in eine kritische und produktive Gestaltungsmöglichkeit der Gesellschaft.
Den Antwortbrief verliest Dr. Vogel am 29.9.2004 im Kulturrathaus Dresden (Königstr. 15) um 18 Uhr.