Eckart Schörle
Das Gelände der ehemaligen Firma J. A. Topf & Söhne in Erfurt
Möglichkeiten der künstlerischen Auseinandersetzung
Es ist ein sonniger Frühlingsnachmittag, als ich erstmals das brach liegende Industriegelände an der Weimarischen Straße betrete. Aus dem vorbeifahrenden Zug war mein Blick schön öfters auf das Firmengelände gefallen- die verfallenen Backsteinhäuser, die Graffitis und die Sprachlosigkeit dieses Ortes. Das Gelände ist nur wenige Minuten vom Erfurter Hauptbahnhof entfernt und scheint doch aus der öffentlichen Wahrnehmung fast verschwunden zu sein. Bei den ersten Schritten auf der Industriebrache bietet sich zunächst ein Bild der Zerstörung. Viele Fensterscheiben sind kaputt, große Mengen an Schrott und Müll jeglicher Art säumen die Wege zwischen den einzelnen Gebäuden. Da liegen zertrümmerte Möbel neben losen Kabeln und zwischen undefinierbaren Überresten tauchen technische Zeichnungen und Aktenteile auf, die auf den früheren Arbeitsalltag an diesem Ort verweisen.
Die grauen Wände der Gebäude sind mit einer Vielzahl von Graffitis übersäht. Nur selten ist beim ersten Betrachten der Bilder, Zeichen, Buchstaben und Wörter ein Rückschluss auf die Intentionen und Vorstellungen der künstlerischen Akteure zu erkennen. Viele Bereiche des Geländes hat die Natur bereits zurückerobert. Aus dem brüchigen Beton der Wege wachsen große Büsche und Sträucher. Auf den Dächern sind Bäume zu sehen. Der Umfang des Pflanzenwuchses lässt erahnen, dass an diesem Ort schon über Jahre hinweg keine menschliche Hand mehr eingegriffen hat, um dort „Ordnung zu schaffen“. Alles in allem bietet sich mir an diesem Nachmittag ein vielfältiges und widersprüchliches Bild, das sich mit Gedanken an ein einst florierendes industrielles Unternehmen und Gefühlen von Industrieromantik mischt. Diese ersten Eindrücke sind nur schwer mit dem Wissen um die Geschichte der Firma zu vereinbaren, die hier einst gewirkt hatte. Es handelt sich um die Firma J. A. Topf & Söhne, die an diesem Ort die Krematorien für Auschwitz und andere Konzentrationslager entwickelte und produzierte. Wie kaum ein anderes Unternehmen veranschaulicht die Geschichte dieser Firma die Beteiligung der deutschen Industrie am Holocaust.
Wie kann man heute einen angemessenen Umgang mit einem solchen Ort finden? Wie lässt sich hier eine dauerhafte Auseinandersetzung mit der Firmengeschichte etablieren?
Anders als die Gedenkstätten an den Orten ehemaliger Konzentrationslager, die immer auch die Aufgabe des Gedenkens an jene Menschen haben, die in diesen Lagern gelitten haben oder gestorben sind, verlangt das Handeln der ehemaligen Akteure dieser Firma auf diesem Gelände nicht nach Formen des Gedenkens und Respekts. Die Geschichte von Topf & Söhne und das Handeln ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werfen Fragen auf und fordern zur Auseinandersetzung mit dem Geschehenen auf.
Heute erinnert an dieser Stelle kaum etwas an die schrecklichen Konsequenzen, die die Produkte dieser Firma während des Nationalsozialismus hatten. Die historischen Gebäude sind- wenigstens in ihrer Substanz- noch erhalten. Verschwunden oder verdeckt ist aber die Erinnerung an die Geschehnisse, die sich in den Büros und Produktionsstätten abspielten. Es ist wichtig, den authentischen Ort zu erhalten. Auf diese Weise kann auch veranschaulicht werden, dass dieser deutsche Industriebetrieb nicht in weiter Ferne, sondern inmitten der Gesellschaft daran mitwirkte, menschliches Leben industriell zu vernichten.
Diese Geschichte erschließt sich aber nicht durch die alleinige Betrachtung der Gebäude. Die Geschehnisse hinter den Mauern dieser Gebäude müssen erzählt werden. Nur durch diese Erinnerung- sei es durch Rundgänge oder eine Ausstellung- kann die Vergegenwärtigung des Vergangenen eine Verbindung mit dem Ort eingehen und damit die Grundlage für eine lebendige Auseinandersetzung mit der Geschichte dieser Erfurter Firma liefern.
Eine intensivere Beschäftigung mit den jeweiligen Akteuren, ihren Vorstellungen und Handlungsspielräumen wirft neue Fragen auf, die nicht immer einfach zu beantworten sind- will man die Versuchung pauschaler Erklärungen vermeiden.
Eine künstlerische Auseinandersetzung kann die Suche nach Antworten unterstützen, andere Perspektiven aufzeigen und neue Fragen in eine breitere Öffentlichkeit tragen. Vieles ist auf diesem Gebiet bereits in den vergangenen Jahren geschehen. Neben der fotografischen Dokumentation und dem Aufzeigen verschiedener Blickwinkel auf das Gelände, wurden auch Versuche unternommen, die Auseinandersetzung auf dem Gelände selbst anzustoßen, beispielsweise durch ein Theaterstück, das die Kulturgruppe der IG-Metall auf dem Gelände aufführte.
Auch die Frage nach einer architektonischen Neugestaltung des Geländes muss zu diesem künstlerischen Umgang gerechnet werden. In jüngster Zeit wurde verstärkt überlegt, wie durch die architektonische Gestaltung des Geländes die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes mit Formen neuer Nutzungen vereinbart werden können.
 
Weitere Hinweise auf Literatur und Infos zur aktuellen Situation sowie konzeptionelle Überlegungen zur künftigen Gestaltung des Geländes finden sich auf der Homepage des Förderkreises Geschichtsort Topf & Söhne: www.topf-holocaust.de