Kristine Köpf
Öffentliche Hand und Kunst
Einerseits ihr Stolz auf die bestehenden Kunstschätze, andererseits die Vernachlässigung der bildenden Künstler bei der Ausübung ihres Berufes
Knackstedt/Paeslack "Was ist Kunst?"
Ines Knackstedt, Andreas Paeslack aus „Was ist Kunst?“, Unikate in Serie, Illustrierte, Tipp-Ex, 2003
Ein Bericht der Geschäftsführerin des Künstlerbundes Dresden e.V., die als Ansprechpartnerin der beruflich tätigen bildenden Künstler Dresdens in täglichen Gesprächen deren widriger werdende Umstände erfährt.
 
Der Stolz der öffentlichen Hand

Politiker aller Ebenen sind stolz auf Kunstwerke, die in ihrem Staat, ihrem Land oder ihrer Stadt hervorgebracht wurden und bekennen dies gern öffentlich. „The glory of Dresden“ heißt die Ausstellung in Jackson/Mississippi/USA mit Kostbarkeiten aus den sächsischen Sammlungen, die Ende Februar 2004 von Bundeskanzler Gerhard Schröder eröffnet wurde und zu der es sich auch Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt nicht nehmen ließ, anzureisen. Die Kunstschätze sollen den Blick ausländischer Investoren nach Deutschland lenken. Parallel dazu hat Außenminister Joschka Fischer zusammen mit seinem amerikanischen Kollegen die Schirmherrschaft für die in allen Medien umworbene und gepriesene MoMA-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie Berlin inne, bei der 200 Meisterwerke des 20.Jahrhunderts aus dem New Yorker Museum of Modern Art betrachtet werden können. Gerhard Schröder kam 2003 zwei mal der Kunst wegen nach Dresden, einmal, um mit Frankreichs Premierminister Jacques Chirac in der Galerie Alte Meister zu konferieren, und zur Eröffnung der Gerhard-Kettner-Ausstellung, wobei er in seiner Rede namhafte Künstler aufzählte und die Bedeutung Kettners für den „herausragenden Platz“ Dresdens „als Heimat und Schule des Zeichnens“ unterstrich. Die Landeshauptstadt Dresden schmückt sich mit dem Namen „Kunststadt“ und nutzt ihre Kunstsammlungen und Kultureinrichtungen, um jährlich Tausende von Touristen anzulocken. Kommunen, Länder und Staaten rühmen sich mit renommierten Orchestern, Opern, Museen, Ausstellungen. Politiker werden nicht müde, die deutsche Kultur als Weltkultur im Ausland anzupreisen und über ihre Bedeutung für die Entwicklung der modernen Gesellschaft zu referieren.
Für weite Teile der Bevölkerung ist Kunst und Kultur ein überaus wichtiges Gut, erkennbar an der Entrüstung bei Abbauplänen, die die Kultur betreffen, oder an dem großen Teilnahmeinteresse an organisierten Fahrten zu bedeutsamen Ausstellungen, um nur zwei konkrete Beispiele zu nennen. Dass Politiker also ihr Image pflegen und sich bei Wählern beliebt machen, wenn sie sich- zumindest verbal- bei passenden Gelegenheiten zu Kunst und Kultur bekennen, liegt auf der Hand.
Wie aber geht es jenen, die Kunst erschaffen?

 
Die Schaffung bildender Kunst als Beruf

Zunächst studiert ein werdender Künstler ca. fünf Jahre an einer Kunsthochschule oder er lernt autodidaktisch in Kursen und durch jahrelange Übung, was zur künstlerischen Berufung gehört. Schließlich beginnt das eigentliche Berufsleben als bildender Künstler: Um Kunst produzieren zu können, muss ein Atelier angemietet, Material besorgt werden, eventuell eine klimatisch geeignete Lagermöglichkeit der Werke zur Verfügung stehen. Neben der kreativen Entwicklung und eigentlichen Herstellung von Kunstwerken gilt es, sich zu vermarkten. Ein professioneller Künstler sollte sich möglichst mit einem in der Regel kostenintensiven Katalog präsentieren, zumindest aber gutes Bildmaterial seiner Arbeiten bereit haben. Werbung für die eigene Kunst und Person, Internetpräsenz, persönliche Ansprechbarkeit, Kontakte und Beziehungen: all das gehört heute selbstverständlich zum Berufsbild des bildenden Künstlers. Vorausgesetzt es gibt die Nachfrage durch zahlungsfähige Kunstkäufer, kann es durch diese Vermarktungsmaßnahmen gelingen, selbst unmittelbar Verkäufe zu erzielen. Die Regel ist eher, eine Ausstellung zu ergattern, vielleicht sogar einen Galeristen zu finden, der bereit ist, Kunstwerke des Künstlers anzubieten. Dann wird eventuell das ein oder andere Werk verkauft und der Künstler erhält nun den materiellen Lohn für sein Schaffen, abzüglich der zuvor geleisteten Ausgaben und der Galeristenprovision.
Parallel kann sich der Künstler an Ausschreibungen, wie etwa für Aufträge, Wettbewerbe, Stipendien und Preise beteiligen. Mit der Einreichung seiner Bewerbungsmappe erhält er die Chance, ausgewählt zu werden und sichert sich möglicherweise so eine Auftragsarbeit, verdient etwas zusätzliches Preisgeld oder gewinnt Renommee, welches für weitere Verkäufe ausschlaggebend sein kann.
Jens Herrmann: "Stilblüte"
Jens Herrmann „Stilblüten des 20. Jahrhunderts müssen nicht mehr gegossen werden“, Unikat, Aluminiumguss, Keramik, 2001
Die gegenwärtige Situation der beruflich tätigen bildenden Künstler
Während Gerhard Schröder und Georg Milbradt also in den USA die von bildenden Künstlern vergangener Zeiten produzierten Kunstwerke Dresdens feierten, spitzt sich die wirtschaftliche Situation der zeitgenössischen bildenden Künstlerinnen und Künstler Dresdens (und anderer Teile Sachsens und des Bundes) dramatisch zu. Die Tendenz geht schon seit der Wende dahin, dass die bildenden Künstler es immer schwerer haben, über ihren Beruf ihre Lebensgrundlage zu sichern. Zwar mangelt es nicht an Kunstinteressenten in der Region, aber es fehlt definitiv an Käufern und Mäzenen. Ein dürftiger Kunstmarkt- wenn man ihn überhaupt als solchen bezeichnen kann- und generell schlechter werdende Bedingungen führten somit dazu, dass jetzt die Grenze erreicht zu sein scheint, bei der die schiere Existenz der bildenden Künstlerinnen und Künstler bedroht ist.
 
Abstiegsspirale von der Freiberuflichkeit in die Sozialhilfe
In der Geschäftsstelle des Künstlerbundes Dresden e.V. häufen sich die Sachverhaltsschilderungen von Künstlern, die ihr Atelier aufgeben müssen, weil es finanziell nicht mehr tragbar ist. Aus der Freiberuflichkeit in die Sozialhilfe bzw. in die Arbeitslosigkeit gehen zu müssen, ist längst keine Ausnahme mehr. Obwohl ein essentielles Aufnahmekriterium für die Mitgliedschaft im Künstlerbund Dresden e.V. eigentlich die Berufsausübung als bildender Künstler ist, wird das tägliche Brot nur von einem Bruchteil der Mitglieder tatsächlich mit der Kunst verdient. Die Regel ist, dass eine Tätigkeit ausgeübt wird, die oftmals noch nicht einmal etwas mit Kunst zu tun hat und die Kunstherstellung- wenn sie denn ausgeübt werden kann- auf die Freizeit zu verlegen. Die Klage vieler Betroffener geht dahin, dass, mangels Muße und Ruhe, der eigene Qualitätsanspruch nicht mehr erreicht werden kann. Während früher der etwaige Nebenjob das Zubrot zum Kunstverkauf ausmachte, ist heute umgekehrt das Geld, das über den Verkauf eines Bildes in die Kasse fließt, zum reinen, sporadischen Zubrot geworden, so die Aussage vieler Künstler. Problematisch ist, dass selbst die Möglichkeit, anderweitig sein Geld zu verdienen, mangels geeigneter Jobs auf dem Arbeitsmarkt immer aussichtsloser wird. Glück haben die, deren Partner oder Partnerin genug verdient, so dass- unter Inkaufnahme der wirtschaftlichen Abhängigkeit- wenigstens keine eigentliche Existenzbedrohung gegeben ist. Pech haben Alleinerziehende, da deren Chance, sich von dem kleinen Kunstmarktkuchen ein Stück zu sichern, gleich Null ist. Das sich Zerreißen zwischen den verschiedenen Möglichkeiten, denen es hinterher zu jagen gilt, um als Künstler ein gewisses Bekanntheits- und damit Verkaufsniveau zu erreichen, ist laut vieler der Künstlerinnen und Künstler so Kräfte zehrend und auslaugend, dass sich schon deshalb früher oder später die Aufgabe des Berufes anbahnt.
 
Altersarmut, Künstlersozialkasse
Wer zu den Älteren der bildenden Künstler gehört, weiß inzwischen nicht mehr, an welcher Stelle er seinen Lebensstandard noch einschränken soll. 500 Euro und weniger Rente im Monat sind häufig genannte Beträge, die sich dem teurer werdenden Dasein nicht anpassen. Die Zuzahlungen im Gesundheitsbereich, die seit Anfang des Jahres zu leisten sind, haben spürbare Auswirkungen auf den Geldbeutel der Senioren. Man leistet sich also keine Monatskarte für die Straßenbahn mehr, verliert damit die Möglichkeit, mobil und aktiv zu sein und das wichtigste an Lebensqualität, was noch bleibt, wie eine ältere Künstlerin kürzlich schilderte. Die jüngeren Kollegen sind als freiberufliche Künstler dem üblichen Rentensystem unterworfen, bei dem die Rente nach dem im Leben erwirtschafteten Arbeitseinkommen bemessen wird. Altersarmut ist angesichts des bescheidenen Durchschnittsverdienstes folglich vorprogrammiert.
Man könnte denken, dass wenigstens die Künstlersozialkasse, welche 50% der Sozialleistungen des freiberuflich arbeitenden bildenden Künstlers übernimmt, als eine den Künstlern wohl gesonnene Einrichtung deren Situation entgegen kommt. Tatsächlich steigen die Zahlen der Ausschlüsse von Mitgliedern aus der Künstlersozialkasse, weil das jährliche Mindesteinkommen von 3900 Euro pro Jahr durch Kunstverkäufe schlicht nicht erreicht werden kann bzw. weil der Verdienst durch andere Tätigkeiten zu hoch ist. Die Überprüfungen der Angaben der Künstler wurden in letzter Zeit erheblich verstärkt. Wer nicht nachweisen kann, tatsächlich über 3900 Euro verdient zu haben, wird ausgeschlossen und sieht sich nun der Doppelbelastung gegenüber, als Künstler kaum etwas zu verdienen, aber voll sozialbeitragspflichtig zu sein. Bei dem Versuch, sich trotzdem über Wasser zu halten, wird spätestens jetzt auf die im Freiberuf freiwillige Zahlung in die Rentenkasse verzichtet und das existenzielle Problem aufs Alter vertagt. Die übliche Konsequenz des Rauswurfs aus der Künstlersozialkasse ist der Gang zum Sozialamt.

 
Selbstausbeutung
Die immer enger werdende Schlinge führt zur Selbstausbeutung: Gegenseitiges Unterbieten und Dumpingpreise, um überhaupt an Aufträge zu kommen und vielleicht endlich etwas zu verkaufen, zwingen die Künstler, sich ihren eigenen Markt kaputt zu machen. Aussteller nutzen aus, dass ein Künstler, angesichts der Notwendigkeit, seine Professionalität anhand von regelmäßigen Ausstellungen vor der Künstlersozialkasse zu beweisen, notgedrungen eine Ausstellungsmöglichkeit auch unter schlechtesten Bedingungen annimmt und wälzen die Kosten für Transport, Versicherung, Vernissage und Aufsicht gern auf den Künstler ab. Ein Ausstellungshonorar wird regelmäßig noch nicht einmal verhandelt. Genauso selbstverständlich verlangt man dem Künstler bei Ausschreibungen bereits in der ersten Runde immer anspruchsvollere Vorleistungen ab, ohne dass die Vergütung etwa von eigens angefertigten Modellen und Entwürfen und deren Rückgabe vorgesehen sind.
 

Teufelskreis beim Nachweis der Berufsausübung
Die fatale Selbstausbeutung hat die Auswirkung eines Teufelskreises, wenn es darum geht, seine Einnahmen zu versteuern: Zwar hat sich der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 6.3.2003 dagegen ausgesprochen, dass ein Künstler aus dem Stand des Berufskünstlers automatisch in die Kategorie des Hobbykünstlers abrutscht, wenn er mehrere Jahre lang kein zu versteuerndes Einkommen angeben konnte. Jedoch werden über den Nachweis der Einkommensverhältnisse hinaus „berufstypische professionelle Vermarktung (z.B. Teilnahme an Ausstellungen), besondere betriebliche Einrichtungen (z.B. Atelier), Erwähnung in einschlägiger Literatur“ u.ä. verlangt. Es entsteht die Zwickmühle, dass die Einnahmen, die durch Kunstverkäufe erzielt werden, von den immer höher werdenden Ausgaben für Ateliermieten und Selbstvermarktung, für die immer selbstverständlichere Übernahme der Kosten bei Ausstellungen, für die niedriger werdenden Kunstwerkpreise geschluckt werden. Die Kriterien, die der Künstler also erfüllen muss, um sich als beruflich tätiger Künstler auszuweisen, sind somit die Ursache dafür, dass zum Versteuern nichts übrig bleibt.
 
Verstecken der Situation
Die vertretene Meinung aus Nicht-Künstlerkreisen, als Künstler habe man doch die Chance reich zu werden, gleicht dem „American Dream“, sich vom Tellerwäscher zum Millionär hoch zu arbeiten. Selbst, wenn sich der ein oder andere lebende Künstler glücklich schätzen kann, auf dem höchsten Niveau des internationalen Kunstmarkts gehandelt zu werden, ist nicht zu übersehen, dass die breite Masse der Künstler schon immer auf außerordentlich bescheidenem Fuße gelebt hat. Beklagt wird von den bildenden Künstlern jedoch nicht ihr bescheidenes Dasein an sich, sondern das gegenwärtig stattfindende Abrutschen unter das Existenzminimum, ohne Aussicht auf Verbesserung der Situation. Da ein potentieller Kunstkäufer vorzugsweise das Werk eines erfolgreichen Schöpfers ersteht, und nicht das eines armen Schluckers, verleihen die Betroffenen ihrer Misere aber noch nicht einmal lautstark Ausdruck, sondern kaschieren sie lieber.
Knackstedt/Paeslack "Was ist Kunst?"
Ines Knackstedt, Andreas Paeslack aus „Was ist Kunst?“, Unikate in Serie, Illustrierte, Tipp-Ex, 2003
Die kulturelle Verantwortung der öffentlichen Hand
Nach Artikel 20 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes geht die Staatsgewalt vom Volke aus. Seine gewählten Vertreter sind somit Dienstleistende für das Volk und tragen die Verantwortung dafür, unverzichtbaren Bereichen für die Gesellschaftsentwicklung, die nicht allein wirtschaftlich und daher nicht allein von privater Hand oder durch Ehrenamt und Sponsoring zu tragen sind, zur Existenz zu verhelfen. Dazu gehören der Sozialstaat, Bildung und Kultur. Bundespräsident Johannes Rau formulierte auf dem Kongress „Kinder zum Olymp“ in Leipzig am 29. Januar 2004: „Wir müssen uns darüber verständigen, dass Kunst und Kultur kein Luxus sind, sondern ein Grundnahrungsmittel für jede und jeden und für alle in einer zivilisierten Gesellschaft.“ Nicht auszudenken, was mit einer Gesellschaft geschieht, der die kulturellen Institutionen fehlen und die vom Privatfernsehen nur noch mit „perverser-geht´s-immer-Sendungen“ abgespeist wird. Wegen hoher Auflagen und Einschaltquoten lassen die Medien hoch gezüchtete „Superstars“ und Skandale mit atemberaubenden Geldmitteln zum Mittelpunkt avancieren und beeinflussen damit nicht unwesentlich, was den Deutschen als kulturelles Erscheinungsbild vorgesetzt wird. Von diesen „prominenten“ Eintagsfliegen bleibt jedoch rein gar nichts, was an unsere Erben als Kulturgut weitergegeben werden kann. In einer Zeit, in der das Aufziehen von Kindern zur Hauptarmutsursache wird, immer mehr Eltern mit Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe konfrontiert sind, Kultur immer teurer und damit für Familien unerschwinglich und der Fernseher zum Babysitter und Jugendunterhalter Nummer eins wird, muss der Staat Kulturwerte auch und vor allem an die junge Generation vermitteln. Der Kunst- und Musikunterricht ist und bleibt aber das unwichtige Stiefkind unter den Schulfächern, und (staatlich finanzierte) Besuche von Galerien, Museen, Theatern, Konzerten sind in den Lehrplänen nicht festgeschrieben. Offenbar sehen die Regierungen auch nach der Pisastudie keine Notwendigkeit für Konsequenzen bei dieser Thematik.
Politiker, die ihre Aufgabe als Volksvertreter ernst nehmen, sind in der Pflicht, die Kultur als das Rückgrat einer Gesellschaft durch Steuergelder mitzufinanzieren. Die kulturellen Bedürfnisse der einzelnen Bevölkerungsgruppen lassen sich mit dem Bild einer Pyramide veranschaulichen, deren breite Grundlage die so genannte Soziokultur bildet, also die zahlreichen und vielfältigen Vereine, Institutionen, Initiativen, Stadtteilhäuser, Kulturzentren, Musik- und Zeichenschulen, Werkstätten, Projekte. Darauf bauen sich die in ihrer Nachfrage immer schlanker werdenden Einrichtungen auf, bis die „Leuchttürme“- Opern, Theater, Museen- die Bedarfsspitze der Pyramide für eine geringe Bevölkerungszahl bilden. Man beachte die umgekehrte Finanzpyramide: Mit vergleichsweise lächerlichem Budget erreicht die Basiskultur die breite Masse von Menschen, aus deren Mitte sich die zukünftigen Besucher der hoch finanzierten Pyramidenspitze entwickeln. Besucher der „Leuchttürme“ sind üblicherweise von Kindheit an durch Soziokultur gebildet worden. Wer nicht von Kunstwerkstätten, Musikschulen und Vereinsmitarbeit geprägt wird, interessiert sich auch später kaum für die exklusiveren Kulturangebote.
Die Wichtigkeit der Soziokultur ist also nicht zu unterschätzen: Bricht das Fundament der kulturellen Pyramide weg, fallen letztlich auch die Leuchttürme in sich zusammen. Mit jeder Schließung einer basisnahen Kulturinstitution aufgrund leerer Kassen der öffentlichen Hand wird eine relativ große Zahl von Menschen mit ihrem Kulturentwicklungsbedürfnis allein gelassen, jedoch nur eine vergleichsweise geringe finanzielle Einsparung erreicht. Wenn sich Menschen in Institutionen kulturell engagieren und Werkstätten, Kurse, Veranstaltungen, Hilfe etc. anbieten, dann sind Löhne und Betriebskosten über Kursgebühren nicht tragbar, sondern nur durch institutionelle und Projektförderungen der öffentlichen Hand. Wären die Kursgebühren auf Wirtschaftlichkeit angesetzt, blieben die Kursteilnehmer aus, denn Eltern sind selten in der Lage, ihren Kindern Mal-, Theater- und Musikkurse zu horrenden Preisen zu bezahlen. Daher ist die Mitfinanzierung des Staates aus Steuergeldern gefragt, sie rechtfertigt sich und wird zur Pflicht dadurch, dass die Institutionen den Staat in seiner Funktion als Kulturvermittler unterstützen, ja, die Erfüllung seiner Aufgabe ohne sie gar nicht möglich wäre.

 
Der bildende Künstler im Rahmen der kulturellen Verantwortung der öffentlichen Hand- Freier Markt unter den Bildkünstlern funktioniert nicht
So, wie eine soziokulturelle Einrichtung ohne staatliche Mitfinanzierung dem Untergang geweiht ist, führt der freie Wettbewerb über kurz oder lang zum Untergang des bildkünstlerischen Berufszweiges, mit dessen Erzeugnissen sich die öffentliche Hand so gerne schmückt. Lässt der Staat die bildenden Künstler auf dem hiesigen mageren Kunstmarkt alleine, hat dies zwangsläufig zur Folge, dass derjenige mit den besten finanziellen Voraussetzungen und Beziehungen, der größte Marktschreier, der sich an Geschmäcker Anpassende, der das Showbusiness Beherrschende erfolgreich ist, und nicht der innig und konzentriert Arbeitende, seine individuelle Kreativität durch Können zum Ausdruck Bringende und Qualität Herstellende und auch nicht der originelle Künstler, dessen individuelle Qualität erst durch spätere Generationen erkannt wird. Hilft der Staat nicht, die Grundvoraussetzungen für die Existenz des bildenden Berufskünstlers zu schaffen, werden Entwicklungen und wertvolle Arbeiten der zeitgenössischen Kunstepoche eingebüßt, auf die später einmal unsere Nachkommen so stolz zurückblicken könnten, wie heute Bundeskanzler Schröder auf Werke der alten Meister.
Vertreter der Ansicht, Schmied seines Glückes sei jedermann selbst, und nicht der Staat, verkennen, dass der zu erwartende Durchschnittsverdienst eines freiberuflich arbeitenden Künstlers von vorn herein unvergleichbar niedriger ist, als etwa der eines freiberuflich arbeitenden Rechtsanwaltes, unabhängig davon, wie clever sich die Leute in den jeweiligen Berufssparten zu vermarkten verstehen. Diesem Fakt wurde mit der Einrichtung einer Künstlersozialkasse durch die öffentliche Hand Rechnung getragen. Die Künstlersozialkasse nimmt ihre soziale Funktion allerdings nicht mehr wahr, wenn zu hohe Beitrittsschranken, gemessen an den tatsächlichen Einkommensgegebenheiten der bildenden Künstler, aufgestellt werden. Wer pauschal behauptet, Künstler verlangten allein aus wirtschaftlicher Unfähigkeit bzw. aus reiner Bequemlichkeit nach der Hilfe der öffentlichen Hand, der stellt sich mit denjenigen auf eine Stufe, die pauschal erklären, Sozialhilfeempfänger seien Schmarotzer und Arbeitslose faul.
Knackstedt/Paeslack "Was ist Kunst?"
Ines Knackstedt, Andreas Paeslack aus „Was ist Kunst?“, Unikate in Serie, Illustrierte, Tipp-Ex, 2003
Schwindende Arbeitsmöglichkeiten durch Sterben der Soziokultur
Während Künstler anderer Genres in von der öffentlichen Hand mitfinanzierten Orchestern, Theatern, Opern, Musikschulen Möglichkeiten einer Anstellung finden (wobei auch hier die Luft zum Atmen zunehmend dünner wird), hat der Bildkünstler neben der Freiberuflichkeit nur wenige Gelegenheiten, seine Fachkenntnisse anderweitig einzubringen. Eine ist, Kurse in soziokulturellen Zentren zu halten. Bei den Einsparungsplänen der öffentlichen Hand im kulturellen Bereich handelt sich der Staat nun erheblich weniger Schelte von Seiten der Bürger ein, wenn anstelle eines großen Hauses mit breiter Lobby lieber nach und nach die Förderung der weniger bekannten soziokulturellen Einrichtungen, jährliche Projektgelder und Ankaufssummen für Kunst gekürzt wird bzw. wenn Stipendien und Atelierförderungen gestrichen werden. Die in Medien kaum Erwähnung findende Schließung schleichend tot gesparter Einrichtungen im Soziokulturbereich betrifft also nicht nur die breite Masse der Bürger, der Kinder und Jugendlichen, sie vernichtet auch eine zusätzliche Einnahmequelle bildender Künstler.
 
Kein freier Eintritt in Museen
Nicht einmal die einfachste Möglichkeit der Kunstförderung durch die öffentliche Hand wird gewährt: Der freie Eintritt in die Museen und Sammlungen für bildende Künstler. Während ein Künstler mit dem deutschen Ausweis des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler kostenlos im Louvre in Paris seiner beruflichen Weiterbildung nachgehen kann, verwehren die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden dieses zu DDR-Zeiten selbstverständliche Privileg. Der beruflich tätige bildende Künstler wird vom Kunst konsumierenden Bürger bzw. Touristen nicht mehr unterschieden. Bemerkenswert ist vor allem, dass der Genuss des freien Eintritts in die Staatlichen Kunstsammlungen Dresdens den lernenden Studenten, den Kunsthistorikern, den Kunstkritikern und den Mitgliedern des Deutschen Museumsbundes gewährt wird. Also allen, die ihren Beruf allein den Herstellern bildender Kunst zu verdanken haben. Und auch die öffentliche Hand profitiert: Die Mitglieder des Sächsischen Landtages mit derzeitigen monatlichen Diäten von knapp 4300 Euro erhalten kostenfreien Eintritt, während die Künstler selber zahlen müssen.
 
Keine Chance für bildende Künstler ohne Hilfe der öffentlichen Hand
Die Politiker aller Ebenen haben die Aufgabe, dem Berufszweig der Künstler Rahmenbedingungen zu bieten, die verhindern, dass die Tätigkeit auf beruflicher Ebene untergeht und die Gegenwartskunst allein auf Hobbyebene am Küchentisch erzeugt wird. Nur die öffentliche Hand hat die Fähigkeit, diese Voraussetzungen zu schaffen und nur so kann sich über die private Hand ein Kunstmarkt entwickeln, der einen fairen Wettbewerb unter den Künstlern ermöglicht.
 
Forderungen an die öffentliche Hand auf allen politischen Ebenen

Die Politiker müssen anerkennen, dass die öffentliche Hand als Dienstleistende für das Volk in der Verantwortung ist und sich zu dieser Verantwortung gegenüber den bildenden Künstlern bekennen. Dringend ist die Gleichwertigkeit von Kunst und Kultur neben wirtschaftlichen Bereichen in der Haushaltsplanung zu beachten. Wichtig sind mehr Stipendien für Künstler, die vor allem auch an die Situation einzelner Gruppen (z.B. Alleinerziehende) angepasst werden müssen. Vermehrte und regelmäßige Ankäufe durch die öffentliche Hand bedeuten eine direkte Unterstützung von bildenden Künstlern. Es müssen Arbeitsmöglichkeiten für Künstler gefördert werden, bei denen sie ihre fachlichen Kenntnisse einbringen können, z.B. im Schulunterricht. Der Künstlerberuf bringt Schaffenskrisen und Flautezeiten mit sich, die wirtschaftlich überbrückbar sein müssen. Auf Bundesebene werden die Senkung der Mindesteinkommensgrenze bei der Künstlersozialkasse und die Anpassung der Mitgliedschaftskriterien an die aktuelle wirtschaftliche Situation der Künstler angemahnt. Wenn der Gesetzgeber nach Maßgabe des Bundesfinanzgerichts vorsieht, dass das Berufskünstlerdasein bei mangelnden Einnahmen durch Ausstellungen nachgewiesen werden muss, hat sie in der Konsequenz Regelungen zu schaffen, die Ausstellungen für den Künstler erschwinglich machen. Ein gesetzlich festgelegtes Ausstellungshonorar wird von Seiten der Künstlerverbände schon lange gefordert. Eine Lösung der gegenwärtigen und zukünftigen Problematik der Altersarmut bei Künstlern ist durch ein geeignetes, speziell für Künstler konzipiertes Rentensystem herbeizuführen.
Der Freistaat Sachsen muss selbstverständlich freien Eintritt in die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden für bildende Künstler gewähren. Die Projektförderung ist mit einer angemessenen Summe im jährlichen Haushalt einzuplanen. Speziell die Katalogförderung ist auszubauen. Das Kultusministerium wird zur Förderung der Kunst an Schulen und zur Aufwertung des Kunstunterrichtes durch Berufskünstler angehalten. Besuche in Galerien, Museen etc. während der Schulzeit und in allen Klassenstufen sind im Lehrplan vorzusehen. Die „Kunststadt“ Dresden muss die soziokulturellen Einrichtungen durch langfristig zugesicherte, verlässliche institutionelle Förderung in angemessener Höhe erhalten.
Die durch das Kulturamt vorgesehene Atelierförderung darf nicht regelmäßig den Streichungen im laufenden Haushalt zum Opfer fallen. Städtische, sanierungsbedürftige Häuser, Hallen und Fabrikgebäude sollen zu Atelierhäusern umgebaut und günstig an Künstler vermietet werden.
Es sind viel mehr Ausstellungsmöglichkeiten für Künstler vorzusehen. Die Ausrichtung von Ausstellungen, die sich ein Künstler selbst organisiert, muss finanziell unterstützt werden. Künstlerinnen und Künstler verlangen den Respekt gegenüber einer Berufsgruppe, deren Erzeugnisse Politiker für Renommee und Anerkennung nutzen!