Dr. Gitta Heil
Kinder zum Olymp
Zur Notwendigkeit ästhetischer Bildung von Kindern und Jugendlichen
Im Januar 2004 fand im Gewandhaus Leipzig ein Kongress unter dem Titel „Kinder zum Olymp“ statt. Begleitet von einer umfassenden Ausstellung mit Themeninseln zu Kultur- und Bildungsprojekten, bot der Kongress einen Einblick in die zur Zeit in Deutschland vorhandene Vermittlungspraxis von Kultur aller Genres.
In seiner Eröffnungsrede gab der Bundespräsident,
Dr. Johannes Rau, nachdrücklich zu verstehen, dass die heutige Gesellschaft einer musischen Versteppung der Jugend entgegenwirken muss und dass jedes Kind ein Recht habe, in der Schule eine musische Bildung zu erwerben, um Verstand und Sinne anzusprechen. Denn, um soziale Kompetenz zu erhalten, reiche Computerbildung allein nicht aus!
Aus einer hochkarätig besetzten Referentenliste und mehreren Diskussionspodien gingen Thesen zur Notwendigkeit von Kultur und Kunst im Alltag von Kindern und Jugendlichen hervor.
So fordert die Kultusministerkonferenz eine höhere kulturelle Kompetenz von Kindern und Jugendlichen angesichts einer beständig komplexer werdenden Gesellschaft. Dabei gehe es vor allem darum, die eigene Kultur zu verstehen, praktische Fähigkeiten auszubilden sowie das Verständnis für fremde Kulturen zu entwickeln. Je eher versucht wird, dieses Verständnis zu wecken und zu fördern, desto größer sind die Erfolgsaussichten und die Chancen, einen aktiven, zukunftsorientierten Beitrag zum Leben in der heutigen Gesellschaft zu leisten. Die KMK ist der Auffassung, dass es hierzu einer breiten gesamtgesellschaftlichen Übereinkunft, verstärkten Anstrengungen des Staates, aber auch der Unterstützung von Wirtschaft und Privatpersonen bedarf.
Professorin Karin von Welck (Kulturstiftung der Länder) hofft, dass es dem Kongress gelingen möge, die breite Öffentlichkeit auf dieses Thema aufmerksam zu machen: „Die Forderung, die ästhetische Erziehung von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen, ist bereits in den 70er Jahren Programm gewesen. Doch heute müssten wir uns fragen: Warum sind so viele dieser Ansätze buchstäblich im Sande versickert und eingestellt worden?“ Uns sollte bewusst sein, dass es sich unsere Gesellschaft nicht leisten kann, auf die integrierende Kraft der ästhetischen Erziehung zu verzichten.
Professor Peter Mussbach, der Intendant der Berliner Staatsoper „Unter den Linden“, hielt ein Referat mit dem Titel „Was soll ein Mensch können?“. Für ihn stand fest, dass es kein Bild vom Menschen an sich geben kann, sondern, dass dieses Bild systemabhängig ist. Jede Art von Emotion solle in einer sinnentleerten Gesellschaft, zu der sich die unsrige immer mehr zu entwickeln droht, bewahrt werden.
In einem anderen Referat hieß es, die Ganztagsschule hätte die Chance, sich in den Dienst sozialer und ästhetischer Erfahrungen zu stellen. Das Abrücken von einem rigiden Stundenraster könne erheblichen psychischen Störungen der Schüler entgegenwirken. Der Schule sollte es gelingen, den Lernstoff ansprechend, weniger quälend und mit von Schülern selbst bestimmten Lehrplänen zu vermitteln.
Die Kulturvermittlung in der Schule darf nicht auf Eliten beschränkt sein! Andere Länder, wie beispielsweise Finnland, lassen die Schüler erfahren, was sie können. Deutschland hingegen zeige, was der Schüler nicht kann, so Herr Reiche (Kultusminister in Brandenburg). Er versprach, Honorare bereitzustellen, um musische Bildung zu ermöglichen.
Im anschließenden Podium hob man hervor, dass die Rolle der Medien zu beanstanden sei, um auch diesen einen Bildungsauftrag zu verankern. Denn schließlich ist die Kultur ein Moment der Selbstbestätigung. Musik und Bildwerke in ihrer Sprache zu verstehen, bedeutet zugleich, sie decodieren zu können.
Eine Arbeitsaufführung des Filmes „Rhythm is it“ über die Jugendarbeit von Sir Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern zeigte, dass aus der Arbeit mit 230 Kindern über 8 Wochen ein emotional bewegendes Filmerlebnis entwickelt wurde. Als Fazit bleibt, dass bedeutende Persönlichkeiten Kräfte bündeln und bewegen können. Ein Film also, den man sich ansehen sollte.
Auf einem Podium, das die bildende Kunst in den Mittelpunkt stellte, kam der Maler und Grafiker Michael Triegel zu Wort. Für ihn stand fest, dass Kunst mehr in den gesamtgesellschaftlichen Kontext eingebunden werden muss. Kinder und Jugendliche aber auch die Erwachsenen müssen lernen, wie man Kunst macht. Sie müssen verstehen, dass das mit richtiger Arbeit zu tun hat! In ihr äußere sich im besten Falle ein Gegenentwurf zur bestehenden Gesellschaft und Umwelt, so Triegel.
In den Berichten über die vorangegangenen Podiumsgespräche stellte man fest, dass es vielen Politikern noch an Bewusstsein für diese Problematik fehle und forderte, dass die Lobby für Kultur und Kunst sich in Beschlüssen und Gesetzgebungen bis auf die Bundesebene niederschlagen müsse. Das Wissen um die Notwendigkeit von Kultur und Kunst auf dem Kongress reichte bis zu Forderungen nach einer ganzheitlichen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Jedoch mangele es allerorts an einer konsequenten Einführung musischer Bildung in den Schulalltag. Der Verweis auf fehlende Gelder mache keinen Sinn. Es stellt sich vielmehr die Frage, wo die Gesellschaft ihren Schwerpunkt setzt. Denn Kultur wächst von unten und bedarf in jeder Generation des Nachwuchses.
Für Thüringen bleibt die Aufgabe, die Potenzen von Kultur und Kunst in den Schulalltag zu integrieren, was über Zeitverträge zwischen Künstlern und Schulen zu realisieren ist.

 
Zum Kongress erschien im Vorfeld ein Kompendium: „Kinder zum Olymp!“ im Wienand-Verlag, 2004. ISBN 3-87909-829-8